Samstag 20. April 2024

Tones and I in der Kölner Live Music Hall

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Am Ende dieser gut 90 Minuten in der Kölner Live Music Hall ist es nicht weniger als ein ekstatischer Triumph, den die 27-Jährige Toni Watson vor ihren Fans episch zelebriert. Denn auch, wenn hunderte von Menschen nach diesen dichten eineinhalb Stunden kaum genug von jener Frau bekommen können, die das Pop-Geschehen dieser Zeit als Tones and I in ihren Grundfesten auf den Kopf stellte: Hier atmet jede Sekunde eine Prise Unendlichkeit. Und das hat seine Gründe. Doch von Anfang an.

Zunächst ist es der Australier Billy Davis, der die seit Monaten ausverkaufte Halle tüchtig auf Temperatur bringt. Mit seiner Schwester Rahel, einem Schlagzeuger und Rapper P.J. an der Seite verleiht Davis einem Groove Rap vom Feinsten Kontur, der mal funkig, mal soulig daherkommt und so famos zum Gestus des Einmaligen passt, wie ihn die Masse bald schon erleben wird.

Und damit sei keineswegs gemeint, dass die 26-Jährige aus Mount Martha sich oder die eigene Musik im prallen Pomp inszenierte: Im bunten Trainingsanzug betritt die Protagonistin des Abends zunächst ganz achtsam, fast melancholisch die Bühne und setzt zum Start ein Zeichen der Demut („Can’t Be Happy All The Time“). Dass die Menge trotz allem aufjubelt, spricht für sich – aber mehr noch für eine Frau von Mut und Aufrichtigkeit gleichermaßen, die aus ihrem Herz keine Mördergrube macht und genau dafür von ihren Fans so tief verehrt wird.
Gleich zu Beginn lässt Watson ihre enthusiastischen Zuhörer wissen: „Auch, wenn die Zeit nur kurz ist, will ich, dass ihr etwas über mich erfahrt, mich kennenlernen könnt und nicht allein wegen der Songs gekommen seid.“ Eine Philosophie, die wie eine DNA in jedem Augenblick dieses Konzerts steckt. Denn durch ihre Anekdoten zwischen dem Dasein als Straßenmusikerin, der ersten Anerkennung in den digitalen Sphären dieser Welt und dem rauschhaften Erfolg der letzten Monate bleibt nicht nur unerhört viel Menschliches haften: Diese echte, weil unaufgeregt selbstverständliche Interaktion mit dem Publikum bereichert auch Nummern wie „Never Seen The Rain“ oder das Flume-Cover „Drop The Game“, die auf diese Weise zu einer biographischen Inschrift von erhabener Inbrunst erhoben werden.

Dass dieses Konzerterlebnis selbst für routinierte Hörer zu einem Meilenstein erlebter Live-Kultur werden dürfte, liegt jedoch auch an etwas anderem. Denn Tones and I spielt eben nicht routiniert das Repertoire ihrer längst Kult gewordenen EP „The Kids Are Coming“ herunter. Mit der spontan geschriebenen Nummer „You’re So Fucking Cool“ verpasst sie dem zwielichtigen Unterhaltungs-Business in Los Angeles einen augenzwinkernden Leberhaken, setzt mit ihrer wuchtigen Interpretation des Alphaville-Klassikers „Forever Young“ ein Zeichen jugendlicher Rebellion und macht die Fans im Laufe des Abends sogar mit ihrem engen Freund Johnny bekannt, der Toni einst zu ihrem allerersten veröffentlichten Song „Johnny Run Away“ inspirierte. Authentischer, persönlicher und nahbarer kann ein Tournee-Konzert wahrlich kaum werden.
Gäbe es da nicht nur dieses mörderisch starke Organ der Toni Watson zu beschreiben: Allein für diese pure Atmosphäre aus organischer Nähe hätte sich das Kommen gelohnt. Doch wie selbstverständlich die Sängerin ihre Töne schmettert, dynamisch ausfächert, brillant phrasiert und bei aller Macht dabei dennoch nie die Kontrolle verliert, imponiert bis in die feinsten Details. Denn bei allem Respekt vor den Pop-Größen und Granden dieser Zeit: Wild wie ein Derwisch auf der Bühne herumtanzen, um im gleichen Augenblick zur personifizierten Stimmgewalt zu avancieren – das muss dieser bemerkenswerten Künstlerin in dieser Form erst einmal jemand nachmachen. Zumal Watson ganz allein an zwei Pianos und Loop Station einen Sound entstehen lässt, mit dem sonst ganze Bands die Massen in Rage versetzen. Dass diese Performance visuell komplett reduziert in Szene gesetzt bleibt und selbst das Bäuerchen, das der Sängerin durch das Mikrofon entfährt, die Sympathiewerte nur steigert, vervollkommnet das Bild einer Sängerin im Aufstieg.

Nach elf Songs und einem fast schon frenetisch bejubelten „Dance Monkey“ ist demnach ganz und gar folgerichtig Schluss mit einem Rausch, von dem man wohl noch Stunden hätte kosten wollen. Doch schon hier und an diesem Abend wird sichtbar, dass der Weg von der Straße zur Pop-Pionierin in den Clubs dieser Nation noch längst kein Ende gefunden hat. Allein: Dieses fast märchenhafte Kapitel schließt auf dem erlebten Höhepunkt. Und das ist ganz und gar großartig so.

Fotos & Text © Markus Mertens

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