Der Schlachthof Wiesbaden ist dafür bekannt, dass sich in seinen Hallen Musikgeschichte in kleinen, intensiven Dosen abspielt. Doch am 13. November 2025 wurde die Location zu einem brodelnden Hexenkessel, in dem Folk-Punk, Herzblut und irische Rebellion aufeinandertrafen. Drei Acts – jeder für sich ein Publikumsmagnet – sorgten dafür, dass der Abend schon beim Betreten der Halle nach etwas Besonderem roch: nach Bier, nach Vorfreude, nach Musik, die man mitten ins Leben trifft. Der Schlachthof war restlos ausverkauft, die Stimmung von Beginn an geladen wie ein gespanntes Gummiband.
Haywire – ein Auftakt, der keine Zeit verliert
Pünktlich zum Start legten Haywire los – und zwar ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten. Mit „Haywire“ eröffneten sie ein Set, das bewies, warum die Band aktuell als einer der aufregendsten Rock-Exporte gehandelt wird. „Is What It Is Ain’t What It Ain’t“ folgte unmittelbar, kraftvoll und kompakt, mit einer Präzision, die die Menge schnell auf Betriebstemperatur brachte.
Besonders „SUMMER NIGHTS“ und „CLOCKTOWER PLACE“ zeigten, wie selbstverständlich Haywire zwischen Indie-Rock-Poesie und explosiver Bühnenpräsenz wechseln. Ein früher Höhepunkt des Abends war das überraschend emotional vorgetragene „Boys Don’t Cry“, ein Cover von The Cure, das von vielen im Publikum lauthals begleitet wurde. Es folgten „Love Song“ und „That’s Life“, die beide die rohe, ungeschönte Live-Energie der Band unterstrichen. Mit „Like a Train“ verabschiedeten sich Haywire schließlich mit einem finsteren, dröhnenden Finale, das sowohl Ohr als auch Brustkorb erzittern ließ.
Der Applaus hätte kaum deutlicher ausfallen können: Das Publikum war warm, bereit – und hungrig auf mehr.
Frank Turner & The Sleeping Souls – eine Feier der Gemeinschaft
Wenn Frank Turner die Bühne betritt, verwandelt sich jeder Raum in einen Ort der Gemeinsamkeit. Im Schlachthof war das nicht anders. Kaum setzte er mit „I Still Believe“ an, sang die Menge, als hätten alle eine lange Busfahrt zusammen hinter sich. Der Song als Opener funktioniert wie eine Hymne an das Liveerlebnis selbst – und Turner weiß, wie man ein Publikum formt, es mitnimmt, es zu einem einzigen großen Klangkörper macht.
Mit „Try This at Home“ und dem neuen, humorvoll selbstironischen „Never Mind the Back Problems“ setzte Turner mehr Tempo nach, bevor er mit „Photosynthesis“ den ersten emotionalen Abriss des Abends lieferte. Der Chor der Fans, der monoton „I won’t sit down, and I won’t shut up!“ brüllte, war unüberhörbar und unübersehbar.
Es folgten politische Spitzen und persönliche Statements: „1933“, wuchtig und wütend, ging nahtlos in „No Thank You for the Music“ über – eine selbstbewusste Lektion in Punk mit Haltung. Turner wechselte zwischen Geschichten, Lachen und der Musik, die er so leidenschaftlich vorträgt. „The Road“, „If Ever I Stray“ und „Do One“ hielten die Energie hoch, bevor er mit „Non Serviam“ seinen alten Hardcore-Wurzeln huldigte.
Als schließlich „Get Better“ und das Finale „Four Simple Words“ erklangen, verwandelte sich der Schlachthof endgültig in eine tanzende, schwitzende Masse, die Turners Botschaft lebte: Musik kann retten – und wenn nicht, dann zumindest den Abend.
Dropkick Murphys – Boston übernimmt Wiesbaden
Der Raum war ohnehin schon am Kochen, aber als das Licht erlosch und die Dropkick Murphys die Bühne stürmten, erhöhte sich die Temperatur gefühlt noch einmal um mehrere Grad. Mit „The Boys Are Back“ machten die Bostoner Folk-Punk-Ikonen klar: Die Party geht erst richtig los. Die Pogoreihen begannen sofort, Bierbecher flogen, Arme lagen um fremde Schultern – ein typischer Dropkicks-Moment.
„The Workers Song“ lieferte die sozialpolitische Erdung, bevor „Gold“ und das leidenschaftlich vorgetragene „Green Fields of France“ zeigten, wie die Band zwischen rauer Energie und tiefem Ernst balanciert. Die ersten Klänge von „The State of Massachusetts“ lösten einen kollektiven Aufschrei aus – einer der Songs, auf den an diesem Abend wirklich jeder gewartet hatte.
Natürlich durfte „Shipping Up to Boston“ nicht fehlen. Es wurde prompt zum lautesten Moment des gesamten Abends: Der Schlachthof vibrierte, als würde die Halle versuchen, die Grundmauern aus ihrer Verankerung zu reißen. Auch wenn die vollständige Setlist des Abends noch inoffiziell bleibt, war klar: Die Murphys spielten nicht nur ein Konzert. Sie lieferten eine Schlacht, ein Ritual, eine Tradition.
Der Konzertabend im Schlachthof Wiesbaden war alles, was man erwarten konnte – und noch mehr. Haywire boten einen modernen, explosiven Start; Frank Turner füllte den Raum mit Herz, Haltung und Hoffnung; und Dropkick Murphys verwandelten die Nacht in ein irisch-amerikanisches Straßenfest voller Ekstase.
Es war ein Abend, der zeigt, warum Live-Musik unersetzlich ist: Weil sie Menschen zusammenbringt, weil sie Momente schafft, die man nicht wiederholen kann, und weil drei Bands in einer Novembernacht die Fähigkeit besitzen, einen ausverkauften Schlachthof für mehrere Stunden zum Zentrum der Welt zu machen.
Text und Bilder by Jan Heesch
Haywire
Frank Turner
Dropkick Murphys