Wie viele fragende Blicke ich in den letzten 14 Jahren erntete, wenn die Musik der Komplizen der Spielregeln lief? Keine Ahnung. Es waren einige.
Aber wer will den Leuten die Überforderung verdenken? Schließlich hat die Band aus Köln auf ihren bisherigen vier Alben, mehreren EPs und Videos sowie nicht zuletzt auf der Bühne niemanden geschont – weder sich noch andere. Außerdem leben wir in einer Zeit, in der Regelbrüche im Pop zunehmend weniger wertgeschätzt werden. Mehr noch: Viele haben bereits vergessen, dass solche Brüche mal ein Qualitätsmerkmal darstellten.
In der Welt der Komplizen der Spielregeln dagegen war Pop ohne Brüche nie denkbar. Im Gegenteil: Die Band hat musikalische Felder immer mit den schärfsten Kanten erkundet. Sei es einerseits Post-Punk, verschiedene Spielarten von elektronischer und avantgardistischer Musik, HipHop aber auf der anderen Seite auch die emanzipatorischen Qualitäten von verspieltem Pop. Musik zwischen Die Goldenen Zitronen, Die Türen und Von Spar, zwischen den Talking Heads und Sonic Youth. Dazu ein fordernder Gesang und Lyrik, die Irritationen nicht nur in Kauf nimmt, sondern sogar bewusst sucht. „Texte, die aus Gleichklang, Homogenität oder einer singulären Perspektive bestehen, wirkten auf mich immer verlogen. Dadurch wird eine Welt vorgegaukelt, die es so nicht gibt“, gibt Tobias, der Sänger und Texter, zu. „Ich habe immer mit Sprache gerungen und versucht, sie atypisch zu nutzen. Deshalb sind Songs für mich bis heute Arbeitszustände, die sich von Version zu Version ändern.“
Komplizen der Spielregeln
Workout
Label: ?
VÖ: 17.11.2023
Genre: Dance
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Vorhang auf für »Workout«, das fünfte Album der Komplizen der Spielregeln, das vieles ändert: Die Perspektive des Trios hat sich verschoben. Das Thema des Albums sind Beziehungen und die Arbeit daran. „Wir wollten uns öffnen und überlegten, wie wir anderen mit unserer Musik begegnen. Wie wir sie ansprechen, um die Aussagen unserer Songs und das Wesen unserer Musik zu vermitteln, ohne zu attackierend oder krass zu wirken“, fasst Tobias zusammen. Ein Bildnis des neuen Ansatzes prangt auf dem Albumcover: Eine Skulptur namens »Die Liebenden« – für die Band das Symbol einer „freigestellten Beziehung“, für andere vielleicht auch nur ein Fake, eine historisierende, auf eBay Kleinanzeigen erstandene Nachbildung.
Musikalisch entstand die einzigartig rohe Energie der Komplizen der Spielregeln bislang zu einem gehörigen Teil aus Reibung. Aus atmosphärisch reizenden Kontrasten zwischen Sound, Beats und Texten. Auf »Workout« zeigt sich dieser Ansatz weiterhin, er wurde aber verfeinert und auf ein neues Niveau gehoben. „Wir haben viel Zeit damit verbracht, Sounds auszuformulieren und zu platzieren“, bestätigt Volker, Gitarrist der Band und für die Computerbasteleien an den Arrangements zuständig. „Wir wollten die Songs aufs Wesentliche konzentrieren. Wir hatten noch nie so klare Strophen und Refrains wie auf diesem Album.“
Für diese Entwicklung der Band ist das Stück »Trigger« ein gutes Beispiel. „So einen Song, so einen Refrain hätten wir uns früher nicht getraut“, sagt Volker. „Tobias musste ziemlich schwitzen, als er den Text für das Stück schrieb. Aber letztendlich ist das ein ausdrucksstarker 1980er-Jahre-Popsong geworden. So harmonisch und groß, dass er uns selbst ein wenig unheimlich wurde.“ In der Tat ist das Stück ein großer Wurf, der eine völlig neue kreative Facette der Band offenbart.
Der Opener »Kaviar« offenbart mit reizenden Kontrasten zwischen gemächlich rollenden Beats, einem klaren Refrain und japanischem Rap den neuen Weg der Band, während »Ein Klassiker« als vermeintlicher Hit des Albums die trocken rockende Verbindung zwischen früher und heute herstellt. „Das sind Songs, die uns sehr berühren. Und Berührung ist etwas, das mit unserer Musik bislang eigentlich nichts zu tun hatte“, schmunzelt Tobias.
Natürlich wird trotz aller neugewonnen Klarheit auch »Workout« für Aufregung sorgen, vielleicht sogar für Irritationen. Das soll so sein, das scheint in der DNA der Komplizen der Spielregeln so vorgegeben. Gleichzeitig ist dieses Album so überzeugend gut, dass allen trotz neuerlicher fragender Blicke klar wird:
Die meinen das ernst. Das ist Kunst, die hart erarbeitet und abgewogen wurde.
»Workout« zeigt, was Pop noch alles (sein) kann.
Christian Steinbrink