Donnerstag 21. November 2024

Im Gespräch mit Dr. Daniela Holsboer und Prof. Florian Holsboer rund um die Familiengeschichte und den Roman „Der Zauber des Berges“

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Wie ist die Idee zu Ihrem Buch entstanden?

Daniela Holsboer: Bei einem gemeinsamen Abendessen. Wir saßen im Garten eines Italieners in Schwabing, es war eine wunderschöne laue Sommernacht, Florian erzählte mir von seinem Urgroßvater Willem Jan Holsboer, der in Davos nicht nur die Rhätische Bahn, sondern auch das Lungensanatorium Schatzalp erbaut hat. Und das alles als gebürtiger Holländer! In den Niederlanden gibt es ja bekanntlich keine Gebirge. Bei dem Stichwort Schatzalp war ich hellwach: Ich bin Literaturwissenschaftlerin und natürlich musste ich sofort an Thomas Manns Zauberberg denken. Thomas Mann beginnt seinen Roman ja damit, dass Hans Castorp mit der Rhätischen Bahn nach Davos reist, um seinen lungenkranken Vetter zu besuchen. Die Schatzalp ist das einzig namentlich erwähnte Sanatorium. Ehrlich gesagt konnte ich diese Geschichte gar nicht glauben, so unglaublich schien sie mir …

Florian Holsboer: Ich wollte dich natürlich beeindrucken (lacht).

Daniela Holsboer: Was auch geklappt hat. Ich erinnere mich auch deswegen so genau an diesen Abend, weil ich mich während dieser vielen Stunden, in denen du erzählt hast, in dich verliebt habe. Es lag so viel Zauber in der Luft. 

Florian Holsboer: Ja, das stimmt. Es war für mich schön zu sehen, wie begeistert du von dieser Geschichte warst.

Daniela Holsboer: Ich war wirklich sofort Feuer und Flamme. Ich wollte immer nur Autorin sein. Und da lag auf einmal dieser literarische Schatz, der nur gehoben werden wollte. Dass dann 2024 auch noch das hundertjährige Jubiläum von Thomas Manns Zauberberg war, schien mir kein Zufall zu sein. Ich fühlte mich in der Tat dazu berufen, diese Geschichte aufzuschreiben. Es war, als wollten die Geister der Vergangenheit wiederauferstehen.

Worum geht es im Roman?

Daniela Holsboer: Es geht darum, dass Liebe Berge versetzt. Um einen Mann, der für die Liebe alles riskiert. Davos ist der Treffpunkt der Weltwirtschaftselite, Schauplatz des Weltbestsellers Zauberberg. Wie aber wurde das Schweizer Bergdorf zum Luxusziel der Reichen, Mächtigen und Schönen? Ich erzähle die wahre Vorgeschichte des Zauberberg, die zugleich die Familiengeschichte meines Mannes ist. Der holländische Kaufmann Willem Jan Holsboer wagt 1867 aus Liebe zu seiner lungenkranken Frau Margaret sein abenteuerlichstes Unternehmen: Er lässt in London, wo er lebt, alles hinter sich, denn die Ärzte sagen, wenn seine Frau noch zu retten ist, dann nur in Davos! Dieses unerschlossene Bergdorf verwandelt er in den mondänsten Kurort Europas, er baut, wie schon gesagt, die berühmte Rhätische Bahn, ein Weltkulturerbe der UNESCO, und schließlich das legendäre Sanatorium Schatzalp. Durch ihn wird Davos zur Weltbühne, zum schicksalshaften Ort, an dem es um Leben, Liegen, Atmen und Sterben geht – und allem voran um die Liebe, die den Tod überdauert.

Florian Holsboer: Es ist zudem auch ein Stück Medizingeschichte. Meine Frau hat viel recherchiert, nicht nur im Familienarchiv, sondern auch in Geschichts- und Medizinbüchern. Wir können in diesem Roman auch viel über Psychosomatik lernen. Die Psychosomatik ist ein Gebiet der Medizin, das sich mit der gegensätzlichen Beeinflussung von seelischen und körperlichen Befindlichkeiten befasst. Zur Zeit meines Urgroßvaters gab es noch keine Medikamente, die gezielt die Lungenkrankheit Tuberkulose heilen konnten. Daher, so seine Annahme, sollte durch die gute Bergluft, den Zauber der Alpenwelt, das feudale Fluidum der Sanatorien, das seelische Befinden so gehoben werden, um auf die körperliche Krankheit positiv einwirken zu können. Diese Vision wurde schnell auch auf andere körperliche Beschwerden ausgewirkt.

Daniela Holsboer: Oh ja, absolut. Nicht jeder, der dort zur Kur war, war auch tatsächlich an Tuberkulose erkrankt. Es schickte sich regelrecht, in Davos auf Kur zu sein. Die Tuberkulose hatte den Ruf der Künstlerkrankheit, die angeblich nur Feingeister befiel. Viele Krankheiten, vor allem psychische, sind heute ja mit einem Stigma behaftet. Die Tuberkulose adelte hingegen die Kranken fast. Und Stichwort Medizingeschichte: Die damaligen Heilmethoden muten heute oftmals unfreiwillig komisch an. So durfte man Unmengen Wein trinken oder sollte Kuhdung geschwängerte Luft einatmen. 

Wer sollte das Buch lesen?

Daniela Holsboer: Das Buch ist auf viele Arten lesbar: Es ist ein historischer Roman. Ein Liebesroman. Aber auch ein intertextuelles Werk. Wer Spaß an Literaturgeschichte hat, darf sich freuen. Es taucht nicht nur Thomas Mann auf, sondern auch Sir Artur Conan Doyle und Robert Louis Stevenson.

Florian Holsboer: Auch für Leser, die sich für die frühe Entwicklung der Medizin aus der traditionellen physiologischen und philosophischen Denkrichtung interessieren, also von Galenus bis Descartes, ist dieser Roman hochinteressant. Es ist ja kein historischer Roman im engeren Sinne, sondern eine Illustration früher Denkstile, die in eine bezaubernde Liebesgeschichte eingebettet ist. 

Haben Sie beide Lieblingsstellen im Buch? Vielleicht einen Satz, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

Florian Holsboer: Als Margaret Blut hustet und Spuren im Schnee hinterlässt. Da wurde mir schwer und zugleich warm ums Herz. Eine Stelle des beginnenden Abschieds – und der großen, märchenhaften Liebe. 

Daniela Holsboer: „The magic of this mountain echoes the beauty of your soul”. Das ist die Widmung auf dem Gedenkstein, den Willem für seine Frau errichten lässt. Die Vergangenheit hallt nach.

Frau Dr. Holsboer, Sie sind promovierte Literaturwissenschaftlerin und erfolgreiche Sachbuch-Autorin. Wieso haben Sie die Familiengeschichte nicht als Biografie aufgearbeitet?

Daniela Holsboer: Weil Biografien langweilig sind (lacht). Nein, im Ernst. Alles hat seine Zeit. Es war schön, dass ich im Anschluss an meine Doktorarbeit über das Thema Vernetzung unter meinem Mädchennamen Otto Bücher über Digital Detox geschrieben habe und somit einen Beitrag zu einem bewussteren, achtsameren Umgang mit digitalen Medien leisten durfte. Aber natürlich habe ich immer davon geträumt, Romane zu schreiben. Zudem gibt es schon eine Biografie über Willem Jan Holsboer, auf die ich mich auch beziehe. Ich bedaure, dass ich diesen Mann nicht persönlich kennenlernen durfte. 

Florian Holsboer: Zum Glück nicht, sonst hättest du dich wahrscheinlich in ihn verliebt (lacht).

Daniela Holsboer: Das kann schon sein, das ist mir sogar ein bisschen während des Schreibens so gegangen (lacht). Ich war ihm so nah, ich musste ihn ja in meiner Fantasie erschaffen. Im Gegensatz zur Biografie hat ein Roman nicht den Anspruch auf absolute historische Korrektheit. Als Schriftstellerin konnte ich diesen Menschen viel freier zum Leben erwecken und auch andere Figuren mutiger in den Handlungsstrang einflechten. Es hat sich so richtig angefühlt. Am Ende geht es um die bessere Geschichte.

Herr Prof. Holsboer, Ihr Vorfahre muss ein großer Romantiker gewesen sein. Verfügt die Familie Holsboer vielleicht über eine Art „Romantik“-Gen?

Florian Holsboer: Da ich etwas von Genetik verstehe, muss ich da der Genauigkeit zuliebe sagen, ein einzelnes „Romantik-Gen“ gibt es nicht. Es kann aber eine solche angeborene Veranlagung schon geben, die ist aber auf unserer DNA weit verteilt. Und solch eine Veranlagung habe ich schon. 

Daniela Holsboer: Und nicht zu vergessen: Das Holsboer-Gen ist auch ein Alpha-Gen. Mich beeindruckt, wie viel einzelne Menschen erschaffen, leisten können. Dein Urgroßvater hat Davos erbaut und damit die ganze Geschichte des Ortes verändert. Davos ist dank ihm weltberühmt. Du hast die Psychiatrie mit deinem naturwissenschaftlichen Ansatz richtungsweisend neugestaltet. Sowas kommt nicht oft vor. 

Sie beide sind für die gemeinsame Florian Holsboer Foundation tätig und arbeiten auch in ihrem Podcast „Alles nur im Kopf” zusammen. Wie schaffen Sie es, Berufliches und Privates zu vereinen?

Daniela Holsboer: Wir sind ein sehr gutes Team und arbeiten harmonisch zusammen. Ich war jahrelang in der Werbung tätig und habe meinen Mann dazu ermutigt, sein enormes akademisches Wissen den vielen Menschen da draußen, die Hilfe suchen, auf einem einfach verständlichen Weg zugutekommen zu lassen. 

Florian Holsboer: Unser Stiftungszweck ist die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Es gibt viel zu tun. Dass uns gerade ein Baby um die Füße krabbelt, wenn wir etwas besprechen, macht die Sache derzeit zwar nicht unbedingt effektiver, aber umso schöner (lacht).

Frei nach dem Motto „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ – planen Sie schon weitere Bücher, Frau Dr. Holsboer?

Daniela Holsboer: Natürlich habe ich, wie sich das für Autoren gehört, was in der Schublade. Im Ernst: Es gibt tatsächlich ein konkretes Projekt, an dem ich arbeite. Ich will noch nicht zu viel verraten, aber es hat auch literaturgeschichtlichen Bezug. Leider aber ohne Verwandtschaftsverhältnisse zum Original. Es sei denn, ich kann einen Ahnenforscher dazu überreden, eine Verbindung herzustellen (lacht). 

Dr. Daniela Holsboer
Der Zauber des Berges

Verlag: Penthesilea Verlag 
Veröffentlichung: 2024
ISBN: 978-3-384-17268-6
Preis: 25,00 €
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Dr. Daniela Holsboer ist Literaturwissenschaftlerin und war viele Jahre als Journalistin und Texterin in der Werbebranche tätig. Unter ihrem Geburtsnamen Daniela Otto ist sie als Expertin und Autorin von Sachbüchern rund ums Thema „Digital detox“ bekannt. Zusammen mit ihrem Mann, dem renommierten Mediziner Prof. Florian Holsboer, gründete sie 2022 die Florian Holsboer Foundation, deren Ziel die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ist. In ihrem Podcast „Alles nur im Kopf“ spricht das Ehepaar mit prominenten Persönlichkeiten zum Thema Mental Health. 

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Dr. h.c. mult. Florian Holsboer ist einer der weltweit renommiertesten und meistzitierten Neurowissenschaftler. Er studierte Chemie und Medizin in München. Als Facharzt für Nervenheilkunde ist er bekannt für seine Entdeckungen über den Zusammenhang zwischen Stress, Depression, Angst und Schlafstörungen, die labordiagnostische Charakterisierung dieser Erkrankungen und deren optimale Behandlung. Er gilt als einer der Begründer der personalisierten Depressionstherapie. Über 25 Jahre leitete er als Direktor das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Von 2014 – 2021 arbeitet er als CEO einer von ihm mitbegründeten Firma (HMNC), die innovative Medikamente gegen Depression und Angststörungen entwickelt. 

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