Wenn ein Musiker nach vielen Jahren, unzähligen Erfahrungen und tiefen Krisen von „Coming Home“ spricht, dann meint er mehr als nur die Rückkehr zu vertrauten Orten. Für Johannes Tibursky, Sänger, Komponist und Produzent aus Berlin, ist es ein Heimkommen zu seiner eigenen musikalischen Essenz – frei von äußeren Zwängen, nah an den eigenen Wurzeln und getragen von der puren Freude am Musikmachen. Sein neues Album Coming Home erzählt Geschichten von Überleben, Neuanfang und innerer Gelassenheit. Im Gespräch mit Tibursky tauchen wir ein in seine Welt zwischen Berlin und Glasgow, Indie und Postpunk, Melancholie und Hoffnung – und erfahren, warum wahre Unabhängigkeit für ihn das höchste Gut bleibt.
Johannes, „Coming Home“ ist ein sehr persönlicher Titel – was genau bedeutet „Heimkommen“ für dich heute, nach all den Höhen und Tiefen deiner Karriere?
Bei der Namenssuche für das Album, ging es wie bei den unterschiedlichen Songs und Themen in alle möglichen Richtungen. Erst als mir plötzlich „Coming Home“ durch den Kopf schoss, fühlte es sich absolut richtig an und verband sich mit den Entstehungsprozessen, bzw. mit den Grundideen vieler Songs auf dem Album. Für mich persönlich bedeutet es vor allem, wieder bei sich anzukommen, wieder zu dem ureigenen Kern vorzudringen und dabei genau zu wissen, was einem gut tut und was nicht.
Du hast deine Musikrechte nach Jahren endlich zurückerhalten. Wie hat dieser Moment dein Verhältnis zu deiner eigenen Kunst verändert?
Es ging damals so um rund 200 Songs und Soundtracks, die ich vor allem für Film und Werbung produziert hatte. Nur wenige der Songs hatten für mein Soloprojekt eine Bedeutung. Aber ich bin nach langem Ringen aus einem Exklusivvertrag mit gleichzeitig drei Verlagen ohne juristische Unterstützung herausgekommen und war nun endlich wieder verlagsfrei. Konnte also anschließend einzelne Songs wieder Agenturen und Verlagen anbieten, ohne mich exklusiv als Künstler an ein Unternehmen binden zu müssen. Dies war ein kraftvolles freiheitliches Gefühl. Back to the roots.
Während der Pandemie war dein Acoustic-Projekt plötzlich gestoppt. Was hat dir in dieser Zeit geholfen, trotzdem kreativ zu bleiben?
Wir haben in kleinster Besetzung noch zwei Musikvideos im Oderbruch gedreht und die EP „Acoustic Sessions“ digital veröffentlicht. Dann war erstmal richtiger Lockdown und die Band ging langsam auseinander. Ein halbes Jahr später kam mir die Idee einen Lockdown Sampler auf meinem Label Kitchen Records zu veröffentlichen. Innerhalb kürzester Zeit waren 18 Berliner Bands (u.a. Kitty Solaris, Bobo In White Wooden Houses, Herbst in Peking, Iris Romen, Amiqo) am Start und begeistert in dieser trostlosen Zeit einen Song zum CD-Sampler „GHOST CITY BERLIN“ beisteuern zu können. Es folgten sehr positive Rezensionen, Radioairplay und –interviews.
Du hast eine schwere Herzkrankheit überstanden – inwiefern hat diese Erfahrung deine Sicht auf das Leben und die Musik beeinflusst?
Ich glaube, wenn man dem Tod sehr nahe war, lernt man das Leben viel mehr zu schätzen. In meinem Fall heißt das, mehr in der Gegenwart zu sein. Aber auch achtsamer im Umgang mit sich selbst zu sein. Mit Anfang 20 fühlten wir uns unsterblich, haben viel riskiert z.B. bei Bergtouren, Exkursionen in Abrissgebäuden oder Kanalisationen, also jedes Abenteuer ohne Bedenken mitgenommen. Später dann, um niemanden zu enttäuschen und keinen Gig absagen zu müssen, bin ich öfters mit hohem Fieber oder Bronchitis auf die Bühne, im festen Glauben, mir könne nichts passieren. Solche Dinge würde ich heutzutage wohl nicht mehr machen, obwohl ein wenig Unvernunft das Leben manchmal auch spannender machen kann. Beim Musik schreiben und -produzieren zählt mittlerweile noch mehr der Moment, die Gegenwart und nicht die Vermarktbarkeit oder Radiotauglichkeit. So entsteht eine fast unbegrenzte Freiheit, z.B. für soundtrackartige Ambient-Songs, die dann auch gerne mal zehn Minuten lang sein dürfen oder dissonante Soundexperimente. Was auch immer gerade Spaß macht und je nachdem mit welchen Musikern oder Musikerinnen man gerade arbeitet bzw. Spaß hat. Die britische Band Radiohead erinnert mich an diese freie Herangehensweise und war für mich auch immer sehr inspirierend, obwohl unsere Genres sich schon etwas unterscheiden.
Glasgow spielt eine zentrale Rolle in deiner Geschichte. Was macht diese Stadt für dich so besonders, dass du auch für das Albumcover dorthin zurückgekehrt bist?
1987 besuchte ich meine Cousine im schottischen Alexandria und lernte dort John Stewart kennen, der zu dieser Zeit Sänger und Gitarrist der Glasgower Band BORAX THRUSH war. 1990 war Glasgow dann europäische Kulturhauptstadt und John lud mich und meine damalige Band PRUSSIA zu einer gemeinsamen Tour in Schottland ein. Der Berliner Senat bezahlte uns die Direktflüge nach Glasgow und John und seine Freunde mieteten dort eine Wohnung extra für uns an, kauften einen Van und besorgten zusätzliche Gitarreamps für beide Bands. Mehr Gastfreundschaft geht kaum, und es war eine wunderschöne Erfahrung, die schottische Kultur auch an den spielfreien Tagen kennen zu lernen. Ein Jahr später reiste ich nochmal nach Glasgow, um für Johns Band als Studiokeyboarder ein paar Spuren aufzunehmen.
Obwohl es beide Bands seit langer Zeit nicht mehr gibt, sind John und ich sehr gute Freunde geblieben. Er kommt seit dieser Zeit ein bis zwei Mal im Jahr nach Berlin und schreibt einen Großteil der Lyrics oder ergänzt halbfertige Texte von mir – natürlich auch auf dem neuen Album „Coming Home“.
Hinzu kam sicherlich auch, dass mich einige schottische Postpunk-Bands in den frühen 80er Jahren, sowie die keltische Folkmusic bis heute beeinflussen.
Du hast immer wieder betont, dass du dich den Spielchen der Musikindustrie entziehen wolltest. Was bedeutet künstlerische Unabhängigkeit heute für dich?
Für mich ist es die Grundlage um kreativ und frei handeln zu können. Ich muß natürlich dazu sagen, dass ich weiterhin als Produzent ab und zu für größere Labels/Verlage arbeite, aber halt nicht mehr mit Exklusiv-Verträgen, bei denen man als Künstler wenig selbst entscheiden kann.
Deine Stimme wird oft mit Edwyn Collins oder The War On Drugs verglichen. Wo siehst du dich selbst musikalisch – zwischen welchen Welten bewegst du dich am liebsten?
Ich höre oft sehr unterschiedliche Vergleiche. Ich kann das selbst schwer einschätzen und bin froh das nicht tun zu müssen. Wenn ich mal nicht im Studio bin, genieße ich meistens die Ruhe und höre wenig Musik. Trotzdem fühle ich mich geehrt, wenn Vergleiche mit so großartigen Musikern wie Edwyn Collins, Iggy Pop oder Echo and the Bunnymen gemacht werden, die ich früher oft gehört habe und sehr schätze.
Wenn du auf deine Anfänge mit PRUSSIA zurückblickst – welche Momente haben dich am meisten geprägt?
Auf alle Fälle die Schottland-Tour, die kleinen Clubtouren nach dem Mauerfall in Ostdeutschland (Dresden, Leipzig, Neuruppin….), die Studioaufnahmen und der Videodreh in Potsdam am Belverdere zum Album „Dying Mother Of 16 Sickly Kids“.
„Peel“ war ein Wendepunkt in deiner Karriere als Komponist für Film und Werbung. Gibt es ein Projekt in diesem Bereich, das dir bis heute besonders am Herzen liegt?
Interessant war hier, dass „Peel“ in seiner ursprünglichen Version aus meiner Sicht gar nichts mit Werbemusik zu tun hatte und vielleicht gerade deshalb ausgesucht wurde. Das bestätigt mich bis heute, Agenturen oder Filmleuten immer Soundtracks anzubieten, die nicht schon in jedem zweiten TV-Clip in ähnlicher Form zu hören sind. Am Herzen liegt mir die Theatermusik, die ich gemeinsam mit der Komponistin Vaile Fuchs seit 2019 für ein kleines Kinder-Musiktheater in Potsdam produziere. Das hat zwar nicht viel mit meiner eigenen Musik zu tun, macht aber Spaß, insbesondere wenn man bei der Premiere des jeweiligen Musicals, die Kinder mit Begeisterung unsere Songs singen hört, während die stolzen Eltern kaum ihre Tränen zurück halten können.
Mit Coming Home gehst du zurück zu den Wurzeln. Wo siehst du dich und deine Musik in den nächsten Jahren – eher im intimen Indie-Bereich oder doch wieder auf internationalen Bühnen?
Mit neuer, großartiger Band durch die Welt ziehend (UK, Kanada, USA), würde ich jetzt gerne mit Überzeugung sagen. Aber ich bleibe erst einmal realistisch und bescheiden und hoffe, die nächsten Jahre gesund zu bleiben. Und darauf basierend kann ja alles passieren.
Lieber Johannes, herzlichen Dank für dieses offene, ehrliche und inspirierende Gespräch. Dein Weg zeigt eindrucksvoll, dass Musik mehr ist als Erfolg und Ruhm – sie ist Heimat, Ausdruck von Freiheit und Spiegel innerer Stärke. Wir wünschen dir von Herzen alles Gute für die Zukunft, viel Gesundheit und weiterhin diese besondere Kreativität, mit der du Menschen berührst. Möge Coming Home für dich und deine Hörerinnen und Hörer immer wieder ein echtes Zuhause sein. Interview by CK



