Was ist das „Jetzt“? Aus Sicht der Physik eine Illusion. Gefühlt aber der Moment, ungreifbar, flüchtig, unwiederholbar. In den letzten Jahren wurden viele Belege dafür gefunden, dass das Jetzt durchschnittlich drei Sekunden anhält. So lange dauert es im Durchschnitt, bis das Gehirn zwischen dem was ist und dem was war umschaltet. Drei Sekunden sind somit der Maßstab zwischen vorher und nachher, der Gegenwart und der Vergangenheit. Und jetzt auch der Name eines neuen Duos.Dahinter stehen zwei Musiker: Heute sind sie ein Duo.
Früher waren sie auch mal eine ganze Band: Reiner Sladek und Lenz Lehmair machten schon als Animal Crakers gemeinsam deutschen Postpunk. Mit ihren vier Alben, erschienen von 1987 bis 1991 auf dem legendären Hamburger Label ZickZack, spielten sie damals München auf die Landkarte der Indiemusik. Ganz am Anfang der Crakers, noch vor der Gitarrenband, standen elektronische Spielereien. Und dort sind sie heute mit einigem Abstand wieder gelandet.
drei sekunden
Der Deutsche Frühling
Label: ZickZack
VÖ: 22.03.2024
Genre: Indie-Rock
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„Ich wollte unter anderem ein Album machen, dass auf eine selbstverständliche und unaufgeregte Art queer ist, wie ein Almodovar Film. Das konnte ich damals nicht mit den Animal Crakers – es mag an der damaligen Zeit gelegen haben, oder an mir selbst. Jetzt kann ich es.“ Reiner Sladek: die charismatische Stimme der Animal Crakers meldet sich mit diesem Album zurück. Die Stimme und die Texte sind tiefer geworden, die Haltung souveräner. Lenz Lehmair, Mr. Puch und Mr. Monostar, verzichtet seinerseits auf diesem Album komplett auf sein Hauptinstrument die Gitarre und setzt hier komplett auf prä-Laptop-Elektonik. Zum ersten Mal hat er ein Album auch komplett im Alleingang produziert und gemischt. Elektronische Musik, wie geometrische Formen vor einem menschlichen Hintergrund: Mit minimal ist diese Musik nur unzureichend beschrieben.
Sie ruht in sich, kontrolliert, fesselnd, körperlich, kühl, skizzenhaft. Und dann werden diese Miniaturen immer wieder aufgeladen – mit Gefühlen, Unsicherheiten, allem wovon Songs eben handeln können. Drei Sekunden sind, wie die beiden Musiker selbst, ein Spiel der Gegensätze. Immer wieder bilden die repetitiven Muster eine Art hypnotisches Korsett, aus dem sich die Lyrics herausträumen. Manchmal schaffen die Klänge eine Grundfarbe für die Lyrics, die darauf malen können, grell, sehnsüchtig oder „Introvertiert“, wie einer der Songs heißt. Liebe / Freiheit, Kontrolle / Zufall, sind wiederkehrende Motive.
In „Schernikau“ wird das Thema Befreiung umgekehrt gespielt: Der Song ist nach einem Republikflüchtling benannt, der rübermachte.Genauso wie die Sounds die beschriebene Zeit spiegeln, ist sich die Musik der Zeitgebundenheit all dieser Beobachtungen bewusst: „Gib mir Mode, Halbwertszeiten, gib mir Dinge, die nicht lange halten, gib mir Jahreszeiten“ heißt es in „Deutscher Frühling“. Aber dieser Frühling wirkt „beschädigt und abgelehnt“, es schwingt Unglauben mit, eine Unmöglichkeit, als sei der deutsche Herbst noch da, als wäre er nie wirklich verschwunden. Der deutsche Frühling ist immer ein anderer. Oftmals klingt elektronische Musik, als würde sie über den Dingen schweben. Hier nicht. Das Dauerhafte und das Flüchtige, die Weltläufigkeit und der Lockdown, die Ausdauer und das Sich-Verausgaben findet einen wunderbaren Kompromiss. Das Duo baut keine Burg aus Klängen, es nimmt teil, es zielt mit jedem Lied in die Mitte der Gegenwart. Wann immer das auch sein mag.