Fast auf den Tag vier Jahrzehnte nach Gründung der Band 1982 und 38 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Debüts »Forever Young« 1984, melden sich Alphaville im Jahr 2022 mit einem Album voller Orchesterbearbeitungen ihrer größten Hits und einiger weitgehend unbekannter, bislang nur im Rahmen von Alphavilles »Dreamscapes«-Projekts veröffentlichten Songs zurück.
»Eternally Yours«, benannt nach dem einzigen genuin neu für dieses Album komponierten Song, ist in zweierlei Hinsicht eine Überraschung. Zum einen dürfte zu diesem Zeitpunkt niemand mit einem symphonischen Album Alphavilles gerechnet haben. Zum anderen gelang es Marian Gold mit seinen beiden Arrangeuren, Max Knoth und Christian Lohr, aus der menschlichen Klangmaschine Symphonieorchester einen Nuancen- und Ausdrucksreichtum herauszukitzeln, der in der langen Geschichte der zahllosen – und oft kläglichen – Versuche, als Rockband mit einem Orchester ins Bett zu gehen, seinesgleichen sucht.
Alphaville
„Eternally Yours“
Label: Neue Meister/Edel
VÖ: 23.09.2022
Genre: Pop
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Marian Gold: „Mir war immer klar, dass Alphaville-Musik nicht aus der Gegenwart ist, nicht aus unserer Welt. Ich habe immer versucht es zu umschreiben, indem ich sagte: Unsere Songs sind wie Träume, unsere Musik ist Traummusik. Nicht umsonst trägt das erste Stück auf dem neuen Album den Titel »Dream Machine«.“
Die wie in Trance wiederholte Eröffnungszeile von »Dream Machine« – und somit des Albums – lautet: »I’m your best friend, the dream…«. Sie fixiert gleich zu Beginn, quasi, wenn der rote Samtvorhang sich öffnet, das Leitmotiv und die emotionale Fallhöhe eines Albums, das einen so natürlichen, warmen, ja, vertraut klingenden Klangkörper hat, dass man sich als Hörer wundert, weshalb es nicht schon zuvor mehr symphonische Bearbeitungen von Alphaville-Songs gegeben hat.
Marian Gold: „Alle 23 Stücke des Albums sind durch die Bearbeitung im Kern klarer geworden, sie sind freigelegt, entfesselt, befreit. Ihre wahre Natur kam zum Vorschein. ‚Eternally Yours‘ klingt in meinen Ohren daher tatsächlich so, als handelte es sich in Wirklichkeit um das erste Alphaville-Album – nur, dass es vor vierzig Jahren nicht veröffentlicht wurde. Wir hatten damals eben kein Orchester zur Hand, sondern ‚nur‘ Synthesizer und Rhythmusmaschinen.“
Dass die neu arrangierten und mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg eingespielten Lieder sich so mühelos in einer aus den Fugen geratenen Gegenwart behaupten, liegt nicht zuletzt an Marian Golds immer noch beeindruckenden Countertenor. Es handelt sich um eine Stimme, wie es sie in der deutschen Popmusik bis heute mit Ausnahme von Klaus Nomi nicht gegeben hat. Mehr noch: Der Zahn der Zeit scheint Marian Golds Stimme kein Jota an Ausdruckskraft abgetrotzt zu haben. Vielleicht muss an dieser Stelle kurz angemerkt werden, dass Gold, 67, aufgewachsen in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren in Herford, Salem, Westberlin und Münster, nie einen Stimmbruch gehabt hat.
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Mehr Informationen„Ich bin in meiner Jugend nicht mit Rock ’n’ Roll aufgewachsen. Stattdessen suchte ich auf dem Radio immer die fernen Frequenzen, in denen Äthergeräusche hörbar wurden – BBC World Service, Radio Moscow, New Cairo, Stimme USA und alles, was die Kurzwelle noch so hergab. Mein Radio war eine massive Musiktruhe, und es hatte ein magisches Auge. Als Kind habe ich vor dem Radio gesessen und wie gebannt auf dieses magische Auge geschaut. Mit dem Zeiger konnte ich Radiosignale von Stationen empfangen, die am anderen Ende der Welt lagen. Bei dem Versuch, diese Stationen zu fixieren, hörte ich synthetische Klänge aus dem Äther. Ich bin eigentlich mit abstrakter elektronischer Musik aufgewachsen. Und wenn dann in Baku die 7. Symphonie von Beethoven lief, hab’ ich als Sechsjähriger vor dem Radio gesessen und geheult.“
Erst durch dieses biografische Detail erklärt sich, weshalb »Eternally Yours« zu keiner Sekunde bemüht oder gestresst klingt, sondern die Musik im Gegenteil zu fließen scheint – als hätte sich Gold dazu entschlossen, dem Fluss einer ihm bis in die letzte Faser vertrauten Musik zu folgen und sich mit geschlossenen Augen treiben zu lassen.
So zieht mit 23 Songs die Geschichte Alphavilles vorbei, die Jahrzehnte verschwimmen, die Zeit wird aufgehoben. Das liegt auch daran, weil wir klassische Musik als »zeitlos« empfinden. Die symphonische Bearbeitung hat die Songs von Alphaville also gewissermaßen aus ihren jeweiligen Herkunftsjahren transzendiert.
Um »Eternally Yours« zu verstehen, müssen wir uns der Wahrheit der Träume ergeben. Wir hören Lieder, die wir ein ganzes Leben lang bereits kennen, in Arrangements, die majestätisch, elegisch und melancholisch zugleich sind. Sie klingen nach Abschied und Loslassen, nach Rückblick und Aufbruch.
„Auf ‚Eternally Yours‘ habe ich teilweise mit letzter Kraft gesungen. Ich geb’ zu: Als Sänger macht mir das Alter etwas zu schaffen, weil die Stimme mit jedem Jahr schwächer wird, ich aber zugleich in der Öffentlichkeit über meine Stimme definiert werde. Ich habe auf diesem Album gesanglich alles gegeben. Und damit habe ich mich gewissermaßen von einem Song nach dem anderen mit großem TamTam! verabschiedet. Auch deshalb freut es mich, das Album als Schallplatte, als geradezu antikes, auratisches Objekt, in den Händen zu halten.“
Ein Wort zum titelgebenden Song des Albums, »Eternally Yours«: Dessen Text liest sich wie ein langer Abschiedsbrief. Tatsächlich stammen mit Ausnahme des Refrains alle Zeilen aus den »Sonetten« von Shakespeare.
Marian Gold: „Ich habe für das Lied keine Zeile selbst geschrieben, alle Wörter und alle Gedanken stammen von Shakespeare. Ich habe sie nur intertextuell zusammengesetzt und minimal justiert, damit sie für mich singbarer werden.“
In den von Gold ausgewählten Versen thematisiert Shakespeare die Paradoxie, als sterblicher und alternder Mensch die unsterbliche, junge Muse für immer so zu lieben wie ehedem.
Ausgestattet mit diesem Wissen, spüren wir als Hörer auch in allen anderen Liedern einen tief in ihnen verborgenen roten Faden – ob Marian Gold nun als letztes Stück »Forever Young«, den James-Bond-Song »Diamonds Are Forever« oder »Summer Rain« aus dem 1989er Alphaville-Album »The Breathtaking Blue« singt, in welchem es heißt: »But last thing I heard of was that God had left the skies for a brand new universe« … Immer geht es um das ewige Leitmotiv von Beständigkeit und Vergänglichkeit, und wir können es auf »Eternally Yours« in allen 23 symphonisch aufgeladenen Stücken so klar wie nie zuvor nachvollziehen.