Als die hochschwangere Katie Melua eines kühlen Oktobermorgens vor die Haustür ihres Hauses im Westen Londons tritt, hat sie auf einmal das Gefühl, dass es Zeit für ein Resümee ist. In welchem Umfang, hängt natürlich davon ab, wann man das erste Mal mit Katie Melua in Berührung gekommen ist. Das war vielleicht, als sie noch als blutjunger Teenager mit „Call Off The Search“ erstmals in die Öffentlichkeit trat und ein Album ablieferte, das die junge Melua allein in Großbritannien in über zwei Millionen Haushalte brachte. Oder vielleicht war es die Katie im Jahr 2005, als sie das mehrfach für die Brit Awards nominierte Album „Piece By Piece“ veröffentlichte. Doch auch in jüngerer Zeit gab es von der Kritik gefeierte Releases wie beispielsweise „In Winter“, bei der Melua den für sie typischen Sound mit subtilen Anspielungen auf ihre georgische Herkunft anreicherte oder auch die Veröffentlichung ihres letzten Longplayers „Album No. 8“, der eine Künstlerin zeigte, die sich von neuen Inspirationen treiben ließ – angefangen von Bob Dylans Werken bis hin zu den Arrangements von Charles Stepney. Mit diesem von den Medien wie Kritikern gleichermaßen gelobten Album präsentierte Katie Melua eine Reihe von Songs, die eindrucksvoll belegten, wie sehr sie auch als Lyrikerin gereift ist. Nach erfolgreichem Abschluss eines Kurses in kreativem Schreiben an der Faber Academy offenbarte Katie ihr neu gewonnenes Selbstbewusstsein im Songwriting, in dem sie sich gegen die herkömmliche in Popsongs verwendete Sprache auflehnte, und dem allzu romantischen Idealismus etwas mehr selbst erlebte Realität entgegenstellte.
Katie Melua
Love & Money
Label: Bmg Rights Management (Warner)
VÖ: 24.03.2023
Genre: Pop
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Doch ganz gleich, wann es das letzte Mal war, dass man mit Katie Melua in Berührung gekommen ist, es gibt vermutlich keinen besseren Zeitpunkt als jetzt mit der Veröffentlichung ihres neues, mittlerweile neuntes Albums „Love & Money“, um die Entwicklung, die sie als Singer-/ Songwriterin gemacht hat, etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. In einer Karriere, deren zahlreiche Höhepunkte auch von einigen Tiefpunkten unterbrochen wurden, sagt Melua, dass „Love & Money“ wohl auch der Versuch ist, „die Überzeugung loszulassen, dass Glück weniger schwer ist als das Gegenteil”. Diese Überzeugung kommt bereits im Eröffnungssong „Golden Record“ zum Ausdruck: „Wovor hast du jetzt Angst”, singt Melua, scheinbar sich selbst fragend, „Angst, dass du endlich glücklich sein könntest?” Was die Worte andeuten, wird durch ein Arrangement noch deutlicher, das – vor allem durch die ultravioletten Brechungen von Martin Slatterys Klavier – die aufkommende Erkenntnis widerspiegelt, dass die Liebe bereits da ist und auf dich wartet, wenn du sie am wenigsten erwartest.
Eine überaus bedeutungsvolle Erkenntnis. Trotz einer lauschigen, radiofreundlichen Gefäligkeit, mit der die Songs daherkommen, steckt auch eine große Spannung in ihnen – Spannungen, inspiriert aus Meluas Kampf mit den Gefühlen der eigenen Unzulänglichkeit, die ein mögliches Glücks zu vereiteln drohen. Melua befand sich auf dem aufregenden, aber zugleich auch beängstigenden Terrain einer neuen Liebe – einer Affäre, deren erste schwankende Schritte zärtlich im Song „First Date“ dokumentiert werden – ein von genüsslichen Seufzern geprägtes Stück, das deutlich synkopierte Pinselstriche trägt. „First Date“ erzählt von Meluas Zukünftigem – und seit November Vater des neugeborenen Sohnes des Paares – der sie davon zu überzeugen versucht, dass es sich besser auf ihr Wohlbefinden auswirken würde, wenn sie bewusst im Augenblick präsent sein könnte, anstatt sich Sorgen über „die Tempi oder Songs zu machen und die Dinge zu sehr zu überdenken.“ Die Ironie ist Melua natürlich nicht entgangen, und so erzählt sie über sich selbst schmunzelnd: „Was habe ich natürlich getan? Ich habe es in einen Song gepackt”.
Und dennoch – ein Samen wurde gepflanzt. Das Paar begab sich auf einen Ausflug zum Sammeln von Seetang in Margate. „Nicht gerade ein klassischer Ort für ein erstes Date”, erinnert sich Melua lachend, „aber eigentlich war es perfekt, denn… erstens fand er die Idee gut, das sagt viel über ihn aus. Außerdem dauerte die Hin- und Rückfahrt zwei Stunden im Auto, also verbrachten wir insgesamt dreizehn Stunden miteinander. In dieser Zeit bekommt man eine ziemlich gute Vorstellung davon, ob das Ganze funktionieren kann oder nicht.” Das sonnendurchflutete balearische „Quiet Moves“ schöpft eindeutig aus der gleichen Inspirationsquelle, aber was man ebenfalls deutlich hören kann, ist, wie Melua den Raum zwischen der für sie typischen Zurückhaltung und der Unbefangenheit ihres Partners erforscht: „Die ersten Monate unseres Werbens fanden während eines Lockdowns statt, so dass in etwa neun Monate vergingen, bis wir uns überhaupt das erste Mal getroffen haben – und das auf einer Veranstaltung, die zufälliger Weise auch noch eine Hochzeit war. Es war das erste Mal, dass ich ihn tanzen sah. Er ist kein professioneller Tänzer, aber er hat seine ganze eigene Art der Musik Ausdruck zu verleihen, und ich verliebte mich sofort wieder in ihn.”
In „Pick Me Up“, das von Meluas Bruder Zurab geschrieben wurde, tauscht sie mit ihrem Angebeteten unverhohlene Vertraulichkeiten aus und ruft atemlos: „We’re washing all the blues away” („Wir waschen den ganzen Blues weg“). In „Lie In The Heat“, das ebenfalls aus der Feder von Zurab Melua stammt, umspielen sich Martin Slatterys Klavier und Phil Wilkinsons Schlagzeug mit einer intuitiven Leichtigkeit, die an Paul Harris’ und Mike Kowalskis zeitlose Arbeit an Nick Drakes „One Of These Things First“ erinnert.
Hier und in den schwelenden, säkularen Gospelbeschwörungen von „Those Sweet Days“ stellt Melua ungeprüfte Vorstellungen über die fast abergläubischen Pakte in Frage, die Songwriter mit ihrer Muse schließen – dass Kunst, die aus Elend geformt wird, irgendwie einen größeren Wert hat als die Lieder, die aus Freude heraus entstehen. Das Lied wurde geschrieben, nachdem Melua 2015 Bob Dylans Version von „That Lucky Old Sun“ gehört hatte: „Ich hörte mir das an und dachte: Ich möchte einen Song schreiben, in dem ich mich meinem faulsten Selbst hingebe. Mit meinem georgischen Hintergrund ist das manchmal schwer, weil ich das Gefühl habe, dass ich ständig arbeiten muss, um zu zeigen, wie dankbar ich bin.”
Im Fall von „Love & Money“ wird die Erleichterung darüber, die Liebe in einer Zeit beispiellosen Wandels zu finden, durch Erinnerungen an diejenigen, die es nicht geschafft haben, noch verstärkt. Unter der ruhigen Oberfläche von „14 Windows“ liegen tiefe und eher schwere Gefühle verborgen. Es ist ein Song, der von Dr. Mike McPhillips inspiriert wurde, dem Psychiater, der zwar Melua nach ihrem sechswöchigen Krankenhausaufenthalt im Jahr 2010 dabei half, wieder in sicherere Fahrwasser zurückzufinden, sich aber zwölf Jahre selbst das Leben nahm. „Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen”, sagt Melua, „ich habe ihn ganze zwei Jahre lang gesehen und wir sind auch danach immer in Kontakt geblieben. Aber ich konnte ihn nicht mehr sehen und sagen, dass ich endlich den Seelenverwandten gefunden habe, von dem er immer sagte, dass er da draußen sei.”
Eine weitere außergewöhnliche Seele, der Melua auf „Love & Money“ Tribut zollt, ist die Schriftstellerin, Essayistin und Social-Media-Aktivistin Mary Annaïse Heglar, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt. Mit dem Lesen von Heglars Blogs nahm „Reefs“ mehr und mehr Gestalt an – ein Song, dessen stattlicher Glanz die unerschütterliche Eleganz widerzuspiegeln scheint, mit der Heglar die großen Ölkonzerne zur Rechenschaft zieht. „Schon bei der Auswahl der Personen, über die man schreibt”, sagt Melua, „gibt man unweigerlich etwas über sich selbst preis – und hier ist es definitiv die Bewunderung für Menschen, die ein Ziel haben und sich dafür leidenschaftlich engagieren, während die meisten von uns mit dem Versuch beschäftigt sind, all die Dinge überhaupt erst einmal zu verarbeiten, die in der Welt falsch laufen.”
Dankbarkeit ist auf „Love & Money“ ein großes Thema und nirgends wird sie deutlicher als im gleichnamigen Titeltrack des neuen Albums. Bevor Katie Melua – damals noch mit dem Vornamen Ketevan – zum allerersten Mal ein Aufnahmestudio betrat, war sie nur ein weiterer Neuankömmling in einem Land, das weit von ihrer Heimat Georgien entfernt war. Ein Neuankömmling, auf dem deutlich das Gewicht der Verpflichtung lastete, dass es nun an ihr lag, die Ernährerin zu werden, die ihre Großfamilie in der Heimat unterstützte – ein Gefühl, das sie mit so vielen Kindern von Einwanderern teilte. Die sich bei längerer Abwesenheit einstellenden Schuldgefühle werden in diesem wunderschönen akustischen Stück thematisiert, in dem Melua mit einer nackten Verletzlichkeit singt, die wir so noch nie von ihr gehört haben: „I was in the neighbourhood, pretending to be someone good / Bringing love and money home” („Ich war in der Nachbarschaft und tat so, als wäre ich jemand Gutes, der Liebe und Geld nach Hause bringt“). „Man macht einen Deal mit sich selbst”, erklärt sie, „und manchmal vergeht viel Zeit, in denen man die Menschen, die einem am meisten am Herzen liegen, nicht sieht. Aber das bedeutet gleichzeitig auch, dass es dann Momente im Leben gibt, in denen man großzügig sein kann. Wenn jemand zu dir kommt und dich um Hilfe bittet, ist das ein sehr schwieriger Moment für ihn. Es bedeutet mir alles, dann helfen zu können!“
Obwohl sich für Katie Melua im Laufe der Jahre viel verändert hat, ist einiges gleich geblieben. So sitzt zum Beispiel Leo Abrahams (Ghostpoet, Brian Eno, Regina Spektor), dessen geschmeidiges orchestrales Schattenspiel den musikalischen Sound von „Album Nr. 8“ mitbestimmte auch bei „Love & Money“ wieder auf dem Produzentenstuhl. Wie schon beim Vorgänger war es den beiden enorm wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Musiker den Raum finden, sich entsprechend im Momentum ausdrücken zu können. Dieses Fließen und die daraus resultierende Spontaneität kennzeichneten die Sessions im Sommer 2022 in Peter Gabriels Real World Studios. Immer wieder fiel der Begriff ‚Blue-Sky-Record‘ in den Gesprächen mit Abrahams. Melua führt dazu aus: „Ich dachte dabei an jemanden wie Françoise Hardy oder auch an die Art und Weise, welches Gefühl beim Hören einiger der frühen Van-Morrison-Platten aufkam. Man legt sie auf und es ist, als würde man mitten im Sommer ein kühles Glas Wasser trinken.”
Zweifelsohne fühlt sich „Love & Money“ an vielen Stellen an wie ein Album, das weniger geschrieben als vielmehr photosynthetisch erzeugt wurde. „Why go dig in the hard and cruel jokes of life / you‘ve got all the tricks up your sleeve to summon the light?” („Warum in den grausamen Scherzen des Lebens wühlen, wenn man alle Tricks in petto hat, um das Licht herbeizurufen?”), fragt Melua einstweilen in Sphären über dem Panorama der Liebe schwebend. Das vielleicht größte Geschenk dieser Songs ist, dass sie uns ihre ganz eigene Sicht auf die Welt eröffnen. Und Du musst Dich nicht einmal beeilen, um es sehen zu können.