Mannheim – Allerheiligen. Während draußen die Kerzen auf den Friedhöfen flackern, wird drinnen im Capitol gezündet – musikalisch, emotional und mit jeder Menge Soul. Es ist inzwischen gute Tradition, an diesem besonderen Tag mit dem Programm „Dead Men’s Poetry“ all jene Musiker zu ehren, die im vergangenen Jahr verstorben sind. Doch wer jetzt an einen stillen, schwermütigen Abend denkt, liegt falsch. Statt Trauermarsch: Groove. Statt Pathos: Lebensfreude.
Moderator Peter Kühn hat das Publikum fest im Griff. Mit viel Charme, Humor und einem feinen Gespür für Zwischentöne spannt er den Bogen von den teils holprigen Lebensgeschichten der Musiker bis hin zu ihren unsterblichen Werken. „Für diesen Abend gibt es kein Drehbuch“, sagt Kühn. „Das Leben schreibt seine eigene Setlist.“ Treffender kann man’s kaum sagen.
Ein Ensemble, das keine Stilgrenzen kennt
Musikalischer Direktor Martin Preiser hat einmal mehr ein Ensemble zusammengestellt, das so vielfältig ist wie die Playlist eines gut sortierten Plattenschranks. Gitarrist Matthias Klöpsch glänzt mit Saitenakrobatik, während Bassist Steffen Engelmann scheinbar unter Dauerstrom steht – ein Energiebündel mit Groove-Garantie.
Stefan Weber, einziger Bläser des Abends, wechselt souverän zwischen Saxophon`s und Querflöte, während Markus Lauer mit seiner Hammond-Orgel Klangfarben zaubert, die direkt aus den 60ern herüberwehen. Der warme, rotierende Sound des Leslie-Lautsprechers – ein Nostalgie-Tornado mit Gänsehautfaktor.
Und dann ist da noch Benedikt Bassimir, der Schlagzeuger mit Nerven wie Stahlseile. Kurzfristig eingesprungen, 29 Titel quer durch alle Genres im Gepäck – und spätestens bei der legendären Tatort-Titelmelodie zu Ehren des verstorbenen Klaus Doldinger zeigt er, dass Spontaneität und Präzision sich nicht ausschließen müssen.
Von „Puff the Magic Dragon“ bis „Paranoid“
Die Liste der Geehrten liest sich wie ein Streifzug durch 70 Jahre Musikgeschichte. Nicht alle finden Platz auf der Setlist des Abends. Peter Yarrow (Peter, Paul and Mary) wird mit „Puff, the Magic Dragon“ bedacht – zart gesungen von Sigrun Schumacher, begleitet von einem harmonischen Chor, der die Hippiezeit noch einmal aufleben lässt.
Quincy Jones, der 2024 mit 91 Jahren starb, wird mit „I’ll Be Good to You“ gefeiert. Das Capitol verwandelt sich in ein funkiges Klanglabor, in dem Soul, Jazz und Pop verschmelzen.
Und dann dieser Moment, als Roberta Flack’s Konterfei über die Bühne blickt, während „Killing Me Softly“ erklingt – so zart und berührend, dass selbst die Luft für einen Augenblick innehält. Sascha Krebs hatte „Kiss“ mit auf dem Plan und zusammen mit Gittarist Matthias Klöpsch rockten sie mit „Shock me“ das ehemalige Lichtspielhaus.
Sascha Kleinophorst liefert mit „Soul Man“ eine Explosion aus Blues und Lebensfreude – um dann mit einem kölschen Einschlag an Peter Horn von den Höhnernzu erinnern. Vom Rhein nach Mannheim, mit einem Augenzwinkern und viel Herz.
Ein Abend zwischen Lachen und Wehmut
Natürlich darf auch Bernd Meininger nicht fehlen – der Mann, der über 5000 Liedertexten Leben einhauchte. „Ein bisschen Frieden“ erklingt als Duett von Kerstin Bauer und Sigrun Schumacher – schlicht, ehrlich, schön.
Von Connie Francis („Schöner fremder Mann“) über Brian Wilson von den Beach Boys bis hin zu Rick Davies von Supertramp reicht die musikalische Zeitreise. Bei „Goodbye Stranger“ flirrt die Hammond-Orgel, als wolle sie sagen: Musik stirbt nie – sie zieht nur um in die Ewigkeit.
Und dann, zum Finale, das pure Gegenteil von stiller Andacht:
„Paranoid“ von Black Sabbath brettert durch den Saal, bevor Ozzy Osbourne’s „Dreamer“ das Publikum wieder erdet.
Die Zugabe: ein Augenzwinkern in Richtung Musikgeschichte – „Looking for Freedom“ zu Ehren von Komponist Jack White. Ein Song, der zwischen Mauerfall, Mitklatsch und Melancholie oszilliert. Danach: Codo – düse im Sauseschritt. Ja, wirklich.
Und zum Schluss, als musikalischer Segen, der Evergreen aller Allstar-Projekte: „We Are the World“ – eine letzte, große Verneigung vor Quincy Jones, dem ewigen Architekten der Popmusik.
Ein Pflichttermin für Musikliebhaber
„Dead Men’s Poetry“ ist kein Trauerkonzert – es ist ein Fest des Lebens. Ein Abend, der zeigt, dass gute Musik nicht vergeht, sondern weiterklingt – in den Herzen, in den Ohren, in den Erinnerungen. Zweieinhalb Stunden lang tanzt das Capitol mit den Toten – und feiert das Leben. Humorvoll, berührend, manchmal nachdenklich, immer mitreißend. Wer hier war, weiß: Die Musik hat das letzte Wort. Und das klingt erstaunlich lebendig.
Das Konzert „Dead Mens Poetry“ am 01. November 2026, ist bereits ausverkauft.
Text & Foto: Helmut Dell





















