Manche kommen nur nachts raus. Erst wenn die Sonne endgültig hinter den Hochhäusern verschwunden ist, kramen die finnischen Gothic-Rock-Botschafter von THE 69 EYES stolz ihre Sonnenbrillen, Lederjacken und schwarzen Eyeliner hervor. Und verschmelzen mit der Nacht. Die Band um den Gothic-Rock-Inbegriff Nordeuropas, Jyrki 69, wurde vor mehr als 30 Jahren in den trüben, düsteren Bars Helsinkis gegründet und hat sich seither beispielhaft um die Dienste der Dunkelheit bemüht: Zwölf stylische Alben, weltweite Tourneen, in ihrer finnischen Heimat sogar platindekoriert und fernsehbekannt.
Nicht übel für das musikalische Gegenstück zu »Wednesday«: Mit ihrem Heißhunger auf Morbidität, Glamour, Sex und alles Übernatürliche verkörpern diese nächtlichen Wesen sowohl die neblige Essenz des nordischen Gothic-Rock als auch die lüsterne Dekadenz des Sunset Strip und haben damit noch jede/n auf ihre Seite gezogen – vom Gothic-Rock-Ghoul bis zum Metal-Dude, von der Glam-Rock-Katze bis zum Rockabilly-Rowdy. Stilvoll, sinnlich, frivol, dramatisch: Ihr schicksalhaftes, unheilvolles dreizehntes Album »Death Of Darkness« feiert diesen unheiligen Mix mit einer brandneuen Kollektion von Liebesliedern an die Dunkelheit in uns allen, von Songs, die stolz den Mond anheulen und ihre Reißzähne tief in unseren Hälsen versenken. Komm, süßer Tod, und hau den Schnaps mit uns weg. Die Nacht ist jung und das Leben kurz.
Mit der unwiderstehlichen ersten Single, ‘Drive’, die ja schon im April 2022erschienen ist, haben THE 69 EYES dann gleich einen ganz neuen Ansatz für ihre Alben gefunden. „Wir wollen unser Evangelium immer weiter verbreiten“, erzählt Jyrki 69, der einzig wahre Helsinki-Vampir. „Die Hauptmotivation der Band ist es, weiterzumachen, unsere treue Fangemeinde zu erfreuen und unser Publikum zu erweitern. Deshalb haben wir unsere erste neue Single veröffentlicht, während wir noch mitten in den Arbeiten am Album steckten. Es ist eine neue Herangehensweise für uns, eine Reihe von Singles zu veröffentlichen, bevor wir die Platte überhaupt angekündigt haben. Diese Prozedur hielt alles frisch und aufregend und uns zudem auf Trab, was eine echt große Motivation war, um ein tolles Album zu schreiben.“ Hat sich ausgezahlt: ‘Drive’ lief im finnischen Radio auf Dauerrotation, sicherte ihnen einen Platz in der finnischen Fassung von »Sing meinen Song« und bescherte ihnen eine ganze Reihe ausverkaufter Shows in ihrer Heimat Finnland.
Zum ersten Mal seit ihrem internationalen Erfolg mit »Devils« (2004) huldigen THE 69 EYES wieder gleichermaßen dem Helsinki-Lifestyle als auch dem kalifornischen „Way of Life“: Sie lassen die Hauptstadt Suomis in Songs wie ‘Drive’ oder der morbiden Postkartenhymne ‘California’ wie ein verdorbenes Viertel von Los Angeles klingen. „»Devils« hat uns dem US-Publikum vorgestellt“, erinnert sich Jyrki. Sie erklärten den Sunset Strip zu ihrer zweiten Heimat und wurden schnell zu Stammgästen der dortigen Bar- und Clubszene. „Es war wie ein Nachhausekommen für uns. Seither sind wir nie wirklich abgereist“, erinnert sich Jyrki. „Der ganze Hollywood-Vibe hat uns sehr inspiriert und passt natürlich auch wie die Faust aufs Auge zu unserer Band. Das Leben in Kalifornien ist immer zugleich träumerisch und von morbiden Dramen überschattet. Es ist ein unwiderstehlicher Ort, eine ewige Quelle der Inspiration.“
Kein Wunder, dass Teile des Albums auf dem legendären Anwesen des Sunset Marquis Hotels in West Hollywood, dem wohl berüchtigtsten Rock’n’Roll-Hinterzimmer Los Angeles‘, geschrieben wurden. „Es entstand zwischen Hollywood und Helsinki, manchmal sogar im Flugzeug. Es war eine sehr kreative Zeit. Später im Studio haben wir die Ideen zusammengeführt und mehr Wert auf klassisches Jammen gelegt. Das hat nicht nur den Songs gutgetan, sondern auch uns selbst.“ Für eine Band, die seit 34 Jahren besteht, ist es natürlich wichtig, die Dinge frisch zu halten – so frisch wie Friedhofserde versteht sich. Mindestens genauso wichtig ist es jedoch für sie, ihrem Credo, ihrer Mission treuzubleiben. „Es ist ein Lebensstil“, nickt Jyrki. „Wir sind wahrhaftig die ‚Helsinki Vampires‘. Diese Band ist das einzige Leben, das ich je kannte, und es ist das beste Leben, das es je geben wird. Wir waren noch nie so beschäftigt wie jetzt, worüber wir nach all den Jahren nicht glücklicher sein könnten. Wir haben mit dieser Band schon alles gesehen und sind dennoch entschlossener denn je. THE 69 EYES sind eine sehr einzigartige Band und ich hoffe einfach, dass die Leute sie genauso genießen können wie wir.“
Mit »Death Of Darkness« werden wir da keine Probleme haben. Ihr dreizehntes Album, ein Glam-Goth-Geniestreich über zehn verschwenderisch dunkle, mühelos coole Kapitel, ist eines ihrer makellosesten und beständigsten – und trägt einen Titel, der natürlich sowohl stilvoll als auch wunderbar symbolisch ist. Genau wie ihre Musik. „Die Band wurde 1989 gegründet, also kommt unser Haupteinfluss natürlich aus diesem glorreichen Jahrzehnt“, betont der Sänger mit dem tiefen Elvis-Croon und lächelt: „Interessant war, dass wir jetzt einen jungen, frischen Produzenten haben, der nicht alt genug ist, um ein Kerl aus den Achtzigern zu sein. Seine Sicht der Dinge hat dem Ganzen wirklich einen besonderen Anstrich verliehen.“
Neben ihrem Patent auf diesen Mix aus Verdammnis und Versuchung, aus Glam und Wham, zeigen besonders zwei Songs die außergewöhnliche Natur dieses Werks: ‘Gotta Rock’, ihre Version des Klassikers der finnischen Rockhelden BOYCOTT, und das heimliche Highlight des Albums, die finstere Mörderballade ‘This Murder Takes Two’, die mit düsterem Americana-Flair aufwartet. „John Carter Cash, der Sohn Johnny Cashs, trat einst an uns heran, um mit ihm eine Akustik-EP in Johnny Cashs eigenen Cabin Studios in den USA aufzunehmen. Wir haben einige Demos potenzieller Songs aufgenommen, aber letztendlich kam es nie zu deren Vollendung. Dieser eine Song blieb aber trotzdem irgendwie bei uns hängen“, erinnert sich Jyrki. „Er war ohne weibliche Note aber nicht komplett, weshalb wir unsere gute Freundin Kat Von D gebeten haben, darauf zu singen. Ich glaube, das ist echt mein persönlicher Favorit.“ Und damit ist er nicht allein.
2023 ist weit entfernt von den Anfängen des neuen Jahrtausends, als Gothic-Rock-Bands auf jedem Friedhof auftauchten und finnische Vampire die Charts rund um die Welt stürmten. Doch der Geist einer Weltklasseplatte wie »Death Of Darkness«, die schiere Leidenschaft, diese geheimnisvolle Aura und die feine Ironie, sind weiterhin quicklebendig. Und nicht nur sie: „Ich trage immer noch dieselbe Lederjacke aus unseren Anfangstagen. Einfach, weil ich es kann“, lacht Jyrki 69. Ein Glückspilz. Der Rest von uns ist froh, wenn man noch in die Hosen aus der Zeit vor der Pandemie passt.