Obwohl wir dieses Interview bereits im März im Rahmen der ersten Europatournee von ANTYTILA geführt haben, können wir es erst jetzt veröffentlichen. Ich bin Taras für dieses Gespräch und für seine Geduld sehr dankbar, denn obwohl wir die für unser Interview vorgesehene Zeitspanne überschritten haben, hat er alle meine Fragen beantwortet.
Ich möchte unser Gespräch mit einer sehr schwierigen Frage beginnen: Wie war der Morgen des 24. Februar 2022 für dich?
Ich erwachte um fünf Uhr morgens und weckte meine Frau. Sie begann, unsere Sachen zu packen. Dokumente und anderes Wichtigste wurden schon vorab von mir vorbereitet. Wir weckten die Kinder. Ich habe das Auto vorbereitet und vom Parkplatz gefahren. Wir stiegen ins Auto und fuhren zu meinem Vater. Beim Haus meines Vaters, er wohnt in einem Privathaus, übernahm er das Steuer und fuhr mit meiner Frau und den Kindern in den Westen des Landes. Ich stieg auf ein Fahrrad und fuhr zum Territorial-Verteidigungs-Bataillon. Serhiy Vusyk tat fast genau dasselbe, der einzige Unterschied bestand darin, dass seine Frau alleine mit den Kindern fuhr. Ja, so begann der Morgen.
Ihr dient als Rettungsmediziner, warum habt ihr es so entschieden?
Nun, es ist passiert. Es gab viele Faktoren, unsere persönlichen Erfahrung und bestimmte Zufälle. ANTYTILA engagiert sich seit 2014 ehrenamtlich, als die Russen den Krieg im Donbas begannen, nur hieß es damals noch: „Wir sind nicht da“. So begannen wir, verschiedene notwendige Dinge für die Militär an die Front zu bringen, Schutzausrüstung und Medikamente. Zu der Zeit erfuhren wir, was für verschiedene Verbände es gibt, blutungsstoppende Aderpressen, Verschlussaufkleber usw., also die Ausrüstung eines militärischen Erste-Hilfe-Kastens. So lernten wir im Zeitraum von 2014 bis 2022 viele Sanitäter aus der taktischen Medizin kennen, belegten bestimmte Kurse, um nicht nur eine theoretische Vorstellung davon zu bekommen, wie es damit in der Praxis tatsächlich funktioniert. Nicht unter Kampfbedingungen, sondern in speziellen Schulungen. Dass wir uns dann dem Bataillon anschlossen, war daher irgendwie logisch. Dort trafen wir eine Freundin von uns, die in einer der Kompanien für die Medizin verantwortlich war, sich aber zu diesem Zeitpunkt tatsächlich um die Medizin des gesamten Bataillons kümmerte. Und sie schlug vor: „Kommt zu mir.“ Also fingen wir an.
Hattest du während deine Dienstes einen Talisman?
Es gab keinen. Ich bete keine Götzen an. Für mich sind alle materiellen Dinge nur materielle Dinge.
Wenn eure Reise endet und ihr in die Ukraine zurückkehrt, plant ihr, zum Militärdienst zurückzukehren, oder gibt es Pläne, die Streitkräfte der Ukraine auf andere Weise zu unterstützen, beispielsweise mit dem Projekt „Offensive Guard“ (https://www .youtube.com/watch?v= Jhbi58aHIFk).
Wir werden uns definitiv nicht in die Offensivgarde einschreiben. Wir können auch gar nicht dorthin gehen, obwohl es theoretisch wahrscheinlich möglich wäre. Aber wir sind jetzt Soldaten des 130. Territorial-Verteidigungs-Bataillons, obwohl vorübergehend dem Präsidentenregiment zugeordnet. Die Dreharbeiten zum Video von „Offensive Guard“ waren eher politischer Natur. Ich bin dort als Cameo aufgetreten – als jemand, der bereits direkt in den Reihen der Streitkräfte ist und durch seine Popularität Einfluss darauf nehmen kann, dass sich jemand für den Eintritt in die Offensivgarde entscheidet. Einige von denen, die vielleicht wechseln möchten, sind noch unentschlossen oder wollen auf irgendeine Weise an unserem Sieg teilhaben. Aber wenn es zum Beispiel einen Befehl von Oberbefehlshaber Valery Zaluzhnyi gibt oder auf andere Weise jemand entscheidet, dass ANTYTILA zum Bataillon zurückkehren müssen, anstatt direkt ihre Aufgaben als Sanitäter zu erfüllen, werden wir das tun. Ich habe einen Militärausweis und bin während des Krieges völlig auf meine Kommandeure angewiesen.
Unter dem „Offensive Guard“-Video stand Teil 1. Wird es weitere Teile geben?
Ja, es wird noch weitere Folgen geben, ich werde dort nicht der Moderator sein. Es wird noch weitere Veröffentlichungen geben, mit anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Diese kommen vielleicht nicht einmal aus dem Bereich des Showbusiness, sondern werden aus anderen Bereichen einbezogen, um diese ganze Geschichte zu promoten.
Mir war nicht ganz klar, ob es Videos nur über dieses Korps oder andere Brigaden geben würde.
Es gibt neun Offensivbrigaden. Das ist eine sehr große Anzahl an Leuten, Kräften und Mitteln, also gibt es dort noch viel zu besprechen.
Kommen wir nun zu den positiveren Dingen zurück, dieses und letzte Jahr waren für euch sehr arbeitsreich. Letztes Jahr standest du mit Ed Sheeran auf derselben Bühne, dieses Jahr mit Bono. Wie war es für dich, und gibt es andere weltbekannte Musiker, mit denen du gerne gemeinsam auf der Bühne auftreten oder zusammenarbeiten würdest?
Ich betone immer, dass wir uns nicht hingesetzt und eine Liste geschrieben haben, mit wem wir gerne zusammenarbeiten würden. Alles, was während dieses Krieges geschah, ist organisch entstanden, und der einzige Zweck unserer öffentlichen und medialen Aktivitäten während des Krieges bestand darin, die Aufmerksamkeit auf die Ukraine zu lenken, damit möglichst viele Menschen im Ausland die Wahrheit erfahren.
Eigentlich begann alles mit unserem Appell an Ed Sheeran mit dem Angebot, an einem Benefizkonzert in Birmingham teilzunehmen. Natürlich wollten wir nicht nach Birmingham gehen, wir boten einfach an, eine Übertragung aus dem noch nicht eroberten Kiew zu machen. ANTYTILA blieben in Kiew in voller Stärke, wir drei wollten definitiv nicht weglaufen, und die zwei Anderen, Mykhailo Cherko und Dmytro Vodovozov, begannen sofort, als militärische Freiwillige zu helfen und zu unterstützen. Wir alle waren dort und es ist wichtig daran zu erinnern, was in diesem Zeitraum passiert ist: In diesem Zeitraum wurde die Hauptstadt in drei Tagen eingenommen, und dann wurde sie erneut in drei Tagen eingenommen … Es war im März, es war für uns wichtig zu zeigen, dass die Hauptstadt nicht erobert wurde. Wir kämpfen hier und Kiew steht, das war psychologisch sehr wichtig.
So beschlossen wir, diese Gelegenheit zu nutzen, doch am Ende wurde uns die Teilnahme am Konzert verweigert. Aber all dies löste eine weitere Diskussionswelle aus, insbesondere in der britischen Gesellschaft, woraufhin Ed Sheeran mit dem Angebot für einen Zusammenarbeit an uns herantrat. Und dann bekam Bono die Telefonnummer von Ed Sheeran und rief mich an. Wir waren damals bereits im Norden der Region Charkiw, und er rief an mit dem Angebot, mit ihm in der U-Bahn zu singen. Schließlich haben wir die Front verlassen, weil Ed Sheeran uns zu einem Konzert in Polen, im Narodowy-Stadion eingeladen hat. Wir sind zu den Kommandeuren gegangen und haben gefragt, wie wir es am besten machen können, um rauszugehen und für dieses Lied zu singen, weil wir es als sehr wichtig verstanden haben. Da wurde uns gesagt: „Jungs, es war genug.“ Valery Fyodorovych Zaluzhnyi gab einen Befehl, und wir wurden sofort von der Front nach Kiew gebracht, damit wir mehr von der Arbeit erledigen konnten, für die sich die ANTYTILA sich einst gegründet hatte. Dabei handelt es sich natürlich um die Arbeit auf der Bühne, aber auch um Medienarbeit, um ehrenamtliche Arbeit und Unterstützung des Bataillons und so weiter. Worauf ich hinaus will ist, dass wir nicht speziell nach einer Zusammenarbeit mit irgendjemandem gesucht haben. Diese gemeinsamen Songs und Auftritte und dann ein Auftritt mit Bono und Ed Sheeran und mit Bono und Edge auf der Bühne von Electric Bricks in London – das ist alles eine organische Geschichte.
Das alles waren keine Promotion-Aktionen für die Arbeit der Band ANTYTILA. Es war zu 90 % Unterstützung für das ukrainische Volk, Akte der Solidarität mit unseren Prinzipien, unseren Ideen und unserer Freiheit, die durch die Musik verkörpert wurden – durch Lieder.
Wenn wir darüber reden, was ich sonst noch gerne hätte, dann rede ich nicht von musikalischer Zusammenarbeit, nicht von gemeinsamen Liedern. Ich würde gerne einen Soundtrack für Christopher Nolens zukünftigen Film schreiben, von dem ich träume, dass er ihn über diesen Krieg machen wird. Er ist mein Lieblingsregisseur. Davon träume ich, nicht nur ich, sondern sicher auch andere Musiker der Band.
Wenn ein Mensch träumt, lebt er.
Genau.
Und nun zu „Festung Bakhmut“: Ich muss zugeben, dass ich geweint habe, als ich dieses Video zum ersten Mal gesehen habe, zum zweiten Mal und zum dritten Mal … In der Ukraine herrscht Krieg, und es ist klar dass jetzt Lieder über den Krieg geschrieben werden. In den Video zur Akustik-Version habt ihr gezeigt, dass dies ein Lied sein kann, das alle Militärangehörigen singen können, das in gewisser Weise zur Hymne dieses Krieges werden kann. Ich würde gerne fragen, wie die Dreharbeiten zu diesem Clip verlaufen sind und ob ihr zu den Jungs und Mädels, die in Videos zu sehen sind, Kontakt haltet.
Natürlich, in der Akustik-Version traten unsere Kameraden aus unserem Bataillon auf. Das Bataillon wurde zur Erholung für zwei Monate aus dem Norden von Bachmuttschyna abgezogen, und wir hatten die Gelegenheit, gemeinsam mit ihnen dieses Video zu drehen. Das Bataillon ist derzeit in der Region Kiew stationiert. Das Hauptvideo wurde direkt in Bachmut gedreht. Das Filmteam, Serhiy Vusyk und Serhii Skorotovskyi der Regisseur des Videos, gingen direkt in die Kampfzone und arbeiteten drei Tage lang mit dem Artillerieteam zusammen, um das alles zu filmen. Alles, was im Video gezeigt wird, ist echte Arbeit, alle diese Projektile flogen wirklich auf Ziele, die vom Sektor-Kommando vor dem Einschlag festgelegt wurden. Diese Projektile flogen wirklich auf ein Ziel. Es ist die 777-Haubitze, die sogenannte „Drei Achsen“, sie arbeitet sehr präzise und kraftvoll. Der zweite Teil des Videos wurde in Kiew in einer im Bau befindlichen Eisbahn gedreht.
Als ich fragte, ob ihr in Kontakt bleiben, meinte ich die Soldaten aus dem Originalvideo.
Erst gestern kamen die Frau und die Kinder eines der Soldaten, die im Video zu sehen sind, zu einem Konzert in Berlin zu uns. Dmytro Vodovozov ist Kurator der Stiftung, die sich mit dem militärischen Teil dieser Richtung befasst, er hält Kontakt zu diesen Leuten. Nun, ich sage nicht, dass wir jeden Tag kommunizieren oder so etwas, aber sie können uns anrufen und wir helfen ihnen konkret.
Mit diesem Video habt ihr den abstrakten Soldaten, die für Bachmut kämpfen, sozusagen ein Gesicht geben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele um ihr Schicksal besorgt sind und sich eine lebende Rückkehr von ihnen wünschen. Dass alle lebend zurückkommen …
Natürlich wollen wir alle, dass unsere Söhne, Väter, Brüder und Schwestern, Mütter lebend nach Hause zurückkehren. Leider ist dies ein Krieg, in dem Menschen sterben. Es wird also nicht so sein, dass alle, die an die Front kommen, auch lebend wieder zurückkommen. Dann wäre es kein Krieg. Deshalb allen Gefallenen ewige Ehre und Erinnerung. Leider haben wir in unserem Bataillon ziemlich viele Kinder, mehr als 40 Kinder, die ohne ihre Väter geblieben sind. Es blieb uns nur noch, diese Kinder in unsere Obhut zu nehmen, was wir tatsächlich gemeinsam mit dem Bataillon getan haben. Wir helfen ihnen in allen Richtungen, alles was sie brauchen, sie können sich an uns wenden, ihre Mütter, Kinder, die älter sind, wenden sich mit allen Bedürfnissen an uns, wir reagieren. Im Winter fuhren alle für einen Urlaub in die Karpaten.
Kehren wir zum heutigen Tag zurück. Dies ist eure letztes Konzert in Deutschland im Rahmen dieser Tournee. Wie hat Deutschland euch aufgenommen? Was sind deine Eindrücke von diesem Teil der Tour?
Nun, wir scheinen überall ausverkauft zu sein, außer in Berlin. Aber da kamen die erwähnten Ukrainer.
In Hamburg hatte ich einen „Spitzel“ – ein guter deutscher Freund. Als er das Video „Bachmut-Festung“ sah, und ich ihm sagte, dass ihr nach Hamburg kommt, hat sofort ein Ticket gekauft. Er sagte, dass er zwar kein einziges Wort verstanden habe, aber so starke Emotionen und so ein Charisma, wie bei dir, hat er noch nie erlebt. Er hat selten so ein intensives Konzert gesehen.
Cool, das ist wirklich schön. Nun ja, so ist das, es kommen hauptsächlich Ukrainer, aber auch einige Deutsche. Auf der Bühne spreche ich überwiegend Ukrainisch, ab und zu spreche ich auch Englisch, damit auch diejenigen, die die ukrainische Sprache nicht verstehen, auch etwas mitbekommen. Gestern zum Beispiel waren wir in Köln und der Saal war voll. Wir haben, wie sich herausstellte, einen Saal genommen, der zu klein für so etwas war. Mehr als tausend Menschen kamen zu uns. Das ist wirklich toll, denn all unsere Konzerte sind grundsätzlich gemeinnützig. Die Gelder werden in erster Linie zur Unterstützung unseres Bataillons, der Kinder unseres Bataillons und für andere Einheiten, mit denen wir zusammenarbeiten, verwendet.
Die letzte Frage ist eine der Hoffnung. Wie wird dein erster Tag nach dem Sieg der Ukraine aussehen?
Ich werde wahrscheinlich entweder auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew oder irgendwo am Jalta-Damm nicht ganz nüchtern aufwachen.
ANTYTILA verrichten weiterhin hauptsächlich ihre Medienarbeit, die Band ist derzeit auf großer Tour durch US-Städte und wird bald wieder nach Europa zurückkehren:
7 October 2023 Detroit Flagstar Strand Theatre
8 October 2023 Chicago Joe`s Live
12 October 2023 Seattle Club Sur
13 October 2023 Sacramento Ace of Spades
14 October 2023 San Francisco The Guild Theatre
15 October 2023 Los Angeles The Belasco
18 October 2023 Miami The Sports of King
21 October 2023 Budapest A38
22 October 2023 Bratislava Majestic Music Club
24 October 2023 Prague Retro Music Hall
25 October 2023 Bern Theater National
26 October 2023 Cologne DIE KANTINE
27 October 2023 Frankfurt Haus Sindlingen
29 October 2023 Vienna ((SZENE))
30 October 2023 Munich TONHALLE
03 November 2023 Lisbon LISBOA AO VIVO
05 November 2023 Barcelona SALA BIKINI
06 November 2023 Alicante VB SPACES
09 November 2023 Sydney Liberty Hall
12 November 2023 Melbourne Max Watts
16 November 2023 Auckland Studio The Venue
25 November 2023 Dublin TOMMY LEDDY THEATRE
26 November 2023 Manchester Manchester Academy
27 November 2023 London The Clapaham Grand