Donnerstag 25. April 2024

Mivos Quartet legt eine maßgebliche Einspielung der drei Streichquartette von Steve Reich vor

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Zwischen 1988 und 2010 komponierte Steve Reich drei Streichquartette: Different Trains, Triple Quartet und WTC 9/11 – Musik, inspiriert von Sprachmelodien, von Béla Bartók, aber auch geschrieben unter dem Eindruck eines vom Terror geprägten Tages. Erstmalig wird diese Trilogie jetzt auf einem Album vorgestellt. Das Mivos Quartet, eines der »kühnsten und wildesten Ensembles für Neue Musik in Amerika«, so der Chicago Reader, entwickelte seine Interpretationen der Werke in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Steve Reich: The String Quartets erscheint bei Deutsche Grammophon am 3. Februar 2023 digital, auf CD und als Doppel-LP mit einem Essay des renommierten Rundfunkmoderators und Musikautors John Schaefer. »9/11/01«, der erste Satz aus WTC 9/11, ist ab sofort als Single erhältlich. 

Mivos, das sich der Musik zeitgenössischer Komponisten verschrieben hat, brachte Reichs Quartette erstmals im Februar 2016 im Jüdischen Museum in New York City zur Aufführung. Seither hat es die Werke oft gespielt. Es war Reich selbst, der auf den Gedanken kam, dass ihre Lesart auf einem Album festgehalten werden sollte. Der Komponist, der kürzlich seinen 86. Geburtstag beging, unterstützte das Projekt von Beginn an und widmete sich während der Aufnahme gemeinsam mit dem Ensemble musikalischen Details. Das fertige Produkt entspricht seinen Vorstellungen.

The New Yorker nannte Steve Reich »den originellsten musikalischen Denker unserer Zeit«. In den 1960er- und 1970er-Jahren machte er sich durch Werke mit wechselnden rhythmischen Mustern und Phasenverschiebungen einen Namen. Als Literatur für vier einzelne Instrumente schien sein Komponieren allerdings nicht geeignet. Das änderte sich 1988. Reich begann das Streichquartett als ein Instrument zu begreifen.

In den 1980er-Jahren hatte er erstmals Sprache verarbeitet und sie in melodische Motive übersetzt. Am Ende des Jahrzehnts schuf er Different Trains, sein erstes Streichquartett. Vorab aufgezeichnete Sprachfragmente und Ton-Samples fanden Eingang in die Darbietung. Inhaltlich greift Reich hier eine autobiografische Erinnerung auf, er gedenkt der Zugfahrten von New York nach Kalifornien, die er als Kind in den frühen 1940er-Jahren nach der Scheidung seiner Eltern unternahm, zu eben jener Zeit, als in Europa jüdische Kinder von den Nazis per Zug in Todeslager deportiert wurden.

Steve Reich
The String Quartets

Label: Deutsche Grammophon
VÖ: 03.02.2023
Genre: CLASSICAL
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Triple Quartet (1998) ist ein rein instrumentales Stück. Ein Quartett zeichnet die Musik für zwei andere Quartette auf und spielt dann den ersten Quartettpart live zusammen mit dem Tonband-Play-back. Die Musik, beeinflusst von den pulsierenden Rhythmen, die den letzten Satz von Bartóks Streichquartett Nr. 4 vorantreiben, erzeugt die intensive Energie seiner beiden äußeren Sätze über einer repetierten Progression von vier Akkorden. Der langsame Mittelsatz enthält einen klaren Kontrapunkt aus kurzen melodischen Einfällen, der sich zu einem Kanon für alle zwölf Stimmen der drei Quartette entwickelt.

Auch das jüngste Werk dieses Genres wird auf Steve Reich: The String Quartets dargeboten: WTC 9/11. Wie bei Different Trains greift Reich erneut auf Sprachfragmente zurück. In diesem Fall entstanden sie während oder nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center. Das Werk wurde 2010 vollendet, es stimmt die instrumentalen Linien präzise auf vokale Intonationen ab, O-Töne von Fluglotsen, Feuerwehrmännern, Notrufenden oder Augenzeugen, die voll Unglauben und Entsetzen über ein Ereignis sprechen, das dieses Jahrhundert definierte. Im dritten Satz sindhebräischePsalmen zu hören, dem Brauch nach werden sie bei der Totenwache gesungen, um den Übergang ins Jenseits zu erleichtern.

Der Sohn des Komponisten wurde Zeuge des dramatischen historischen Moments, er beobachtete es von seiner nahegelegenen Wohnung aus. Als der Südturm einstürzte, telefonierte er mit seinem Vater. Reichs Angst um seine Familie – den Sohn, die Schwiegertochter, das Enkelkind – floss in WTC 9/11 ein. »Wenn Musik nicht aus emotionaler Intensität erwächst«, sagte er kurz vor der Uraufführung im Jahr 2011, »hat sie keinen Bestand.«

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