AngelA, dein EP-Titel „Ich glaub, die Milf wird schlecht“ ist so herrlich frech wie ehrlich – erinnerst du dich noch an den Moment, in dem dieser Satz zum Song wurde?
Oh, da erinnere ich mich noch gut dran. Viele Freundinnen, die in jüngeren Jahren und weit vor mir Kinder bekommen hatten, berichteten von dem Phänomen, dass, wenn sie mit ihren Kindern unterwegs waren, beim männlichen Geschlecht unsichtbar wurden und sobald sie alleine waren, wieder im Game bei den Männern waren. Ich fand das interessant. Ich selbst wurde als Schwangere 40 jährige als heißeste MILF bezeichnet, was ein besonderer Satz sein musste, eine Art Ehrung meines Gegenübers: Weil es eigentlich zum sexualisierten Blick nicht passt – schließlich hatte ich einen „Braten in der Röhre“! Ich glaub die MILF wird schlecht, als Satz ist schon vor langer Zeit entstanden, mit einem Tetra Pack Milch in der Hand. Ich liebe Wortspiele. 🙂 Ich als Frau wollte ja nie wegen meines Aussehens gut gefunden werden, sondern wegen meiner Qualität witzig zu sein und schlau und spannend. Das, was mir wichtig ist für mich und auch bei anderen. Es ist schon krass, wie sich der Blick von außen verändert, sobald die Attraktivität, wie sie gesellschaftlich verstanden wird, flöten geht und wie sehr mich das doch tangiert hat. Dafür hab ich mich auch ein bisschen geschämt, dass mir Anfangs der männliche Blick gefehlt hat, nur weil er nachgelassen hat.
Du schreibst über das Leben jenseits der 30 – wie fühlt es sich an, endlich die Songs zu singen, die du selbst lange vermisst hast?
Eine tolle Frage. Es fühlt sich wie ein Befreiungsschlag an. Ich habe ganz viele Jahre, auf jeden Fall meine ganzen 30iger, versucht, mich und mein äußeres Erscheinungsbild in eine Art Stillleben zu verwandeln. Bloß nicht älter aussehen. Älter werden. Für mich. Für die Männer. Für die Arbeit. Für die Kunst. Ich bin so aufgewachsen, dass eine Frau jung sein muss, bloß keine Kinder bekommt und bitte immer schön schlank sein muss, um überhaupt ein Stück vom Kuchen schönes, leichtes Leben abzubekommen. Ich hatte also beim Schreiben schon auch Manschetten, also Angst, mich ganz zu zeigen. Aber mit jedem Song, der mehr und mehr veröffentlicht wurde, wurde ich zutraulicher und gnädiger mir selbst gegenüber. Und jetzt bin ich völlig furchtlos. Das möchte ich gerne weitergeben. Eigenermächtigung eben. Außerdem finde ich, dass Menschen, Frauen im mittleren Alter unglaublich viel zu geben haben. Wir sollten es wie bei Narwalen machen, sobald die Weibchen dort mit den Wechseljahren durch sind werden sie weise Anführerinnen. 🙂
Dein Song „Standortwechsel“ trifft mitten ins Herz. Was war dein persönlichster „Standortwechsel“ – musikalisch oder privat?
Standortwechsel ist eigentlich der Song, der am Nahesten an mir dran ist. Woher wusstet ihr das? Einige Freundinnen von mir, aber auch ich, waren mal in einer Beziehung, die mich/uns hat/haben austrocknen lassen. Wie eine Wüste. Beziehungen sind ja immer im Wandel. Am Anfang denkt man, ich werde immer an einem vollen Brunnen wohnen und nach wurde nach und nach Steppe draus. Es ist ein unausgesprochener Fakt, dass gerade Frauen, die wie ich mitten im Leben stehen, sexuell oft nicht angekommen sind. Das möchte ich mit diesem Song ändern. Ihnen Mut machen einen Standortwechsel zu wagen.
In deiner Karriere hast du mit Größen wie Nena und Udo Lindenberg die Bühne geteilt – wie war der Moment, als du zum ersten Mal alleine als AngelA ins Rampenlicht getreten bist?
Ein Glück durfte ich das schon oft in meiner Karriere. Als AngelA werde ich dieses Jahr zum ersten Mal live beim Dortmunt Festival am 2.05. eine große Bühne betreten und kann es kaum erwarten.
„Fifty Shades of Grace“ – was für ein genialer Titel! Wie viel Humor braucht es, um mit so viel Tiefgang über das Älterwerden zu singen?
Ich freue mich, dass es verstanden wird und ich bin der festen Überzeugung, dass Humor die große Rettung im Leben ist und beim Altern sowieso. Ich liebe es, wenn es dramatisch und humorvoll ist, dann sind an alle Ausschläge des Herzens gedacht. 🙂
Du bist Musikerin, Schauspielerin, Autorin – und jetzt auch wieder Solokünstlerin. Was hat dich in all den Jahren nie losgelassen?
Nie den Grund vergessen Musik zu machen und zu schreiben. Ich habe erst vor ganz kurzer Zeit an mir gelernt, dass ich nicht singe wegen des Singens (ich covere ja auch nicht), sondern es geht mir um die Verbindung zu den Menschen, im Besonderen zu den Frauen. Ich will Brücken schlagen, für einen gemeinsamen Weg, darum sind mir die Texte viel wichtiger als die Musik, denn nichts geht den Menschen eher ins Herz als Musik. Es ist ein gutes Medium.
Wenn du deiner 20-jährigen AngelA heute einen Songtitel aus deiner EP als Rat mitgeben könntest – welcher wäre es?
Ich glaube das wäre „Das weiße Kleid“, dass man sich nicht schämen muss, wenn es nicht klappt mit der Beziehung und sich irgendwie freizumachen, von den Normen, dass man es doch hinbekommen muss.
Du warst im Team Kaulitz bei The Voice – was hast du aus dieser eher „ungeplanten“ Talentshow-Recherche für dich mitgenommen?
Stimmt. Das hatte ich gar nicht wirklich geplant. Im Rahmen für mein neues Buch „Songs für Greta“ wollte ich an einer Talentshow mitmachen, um mehr Infos für so eine Casting-Show zu bekommen. Und dann kam die Anfrage der Produktion. Da hab ich natürlich ja gesagt. Die Brüder sind süß, aber es kam jetzt nie etwas Großes bei rum. Meine Battle-Partnerin Franziska Bittner gehört allerdings immer noch zu meinem Freundeskreis. Sehr schön alles. Der Schnitt der Sendung hat mir allerdings trotzdem nicht gefallen. Am Ende geht es darum das Narrative gefunden werden. Man besetzt wird. Und ich kann diese ganzen Homestories nicht leiden. Ich hatte zum Glück nur meinen lieben Arbeitskollegen Wolfgang Bahro, alias „Jo Gerner“ von GZSZ als Überraschung. Er hatte mir ein sehr süsses Video aufgenommen, dass die Produktion gesendet hat. Es war trotzdem wertvoll mitzumachen, weil ich gesehen habe, wie viele Menschen die Musik lieben.
Wie war es, diese EP fast komplett im Homestudio zu produzieren – mehr Freiheit oder mehr Wahnsinn?
Mehr Freiheit. Wir machen das ja schon ein paar Jahre. Ich habe einige Produzenten, mit denen ich gearbeitet habe und die ich auch toll bei anderen Produktionen fand, aber bei meinen nicht. Ich muss einfach alles selbst machen. Keine Ahnung. Darum war ich nur mit Lars Hengmith, meinem besten musikalischen Freund im Homestudio. Das hat einfach gefunzt.
Letzte Frage mit Augenzwinkern: Wie viele Punkte brauchst du noch, bis das Bild komplett ist – oder ist das Geheimnis gerade, dass es nie fertig wird?
Klar, das bleibt ein Geheimnis und das ist auch gut so. Ich bin jeden Tag aufs Neue gespannt, was das Leben für mich so bereit hält und so lange mache ich Malen nach Zahlen mit meinen Lebenspunkten und kann die Figur, die am Ende dabei rauskommt, hoffentlich noch lange nicht erkennen. 🙂
Liebe AngelA, danke für deine Zeit, deinen Mut und deine Musik. Deine EP ist ein kraftvolles Statement für Frauen in der Rush Hour des Lebens – und wir feiern jede einzelne Zeile davon! 💜 CK
Bild © Mattias Krüger-Pillath