1. Herr Heil, Ihr erstes deutschsprachiges Soloalbum erscheint am 30. Mai 2025. Was hat Sie nach all den Jahren dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen?
Wenn man mal in ein, zwei bekannteren Bands gespielt hat, die dann nicht mehr existierten, liegt der Gedanke ja nahe. Aber die Vorstellung, mit sowas dann wieder Live-Konzerte geben zu müssen, war ein wenig abschreckend. Ich fühlte mich einfach wohler im Studio, wo ich experimentieren konnte und z.B. das Beste aus der Performance anderer Künstler rausholen durfte. Das hatte ich Ende der 80er total satt, und außerdem war meine Frau Rosa Precht todsterbenskrank. Also wollte ich, wenn überhaupt, dann zuhause und alleine arbeiten. So fing ich also wieder an, Song-Ideen zu sammeln. Allerdings starb Rosa dann Anfang 1991 und ich rutschte wohl in eine schwere Depression, ohne zu begreifen, was da überhaupt los war. Das Album dauerte dann 5 Jahre (mit Unterbrechungen) und wieder war ich emotional nicht in der Lage, das rauszubringen und auch entsprechend zu promoten. Inzwischen hatte ich die ersten Filmmusiken gemacht und zog nach Kalifornien. Das war völlig waghalsig und echt beängstigend, aber der Erfolg und die Aufmerksamkeit von Tom Tykwers „Lola Rennt“ stießen dann doch ein paar Türen auf. Zwei Jahrzehnte danach (anno 2019) hatte ich genug Luft, um meine immer rumschwirrenden Song-Ideen endlich mal wieder festzuhalten. Ich liebte die Tatsache, dass diese meist als Texte begannen. Das hatte ich früher nie geschafft.
2. Sie haben Ihre musikalische Laufbahn in der legendären Berliner Szene der 70er und 80er begonnen. Wie hat Sie diese Zeit geprägt und welche Lektionen nehmen Sie daraus bis heute mit?
Es gibt keine Berliner Szene. Es gibt mehrere, mit diversen Stilrichtungen, und damals gab es da wenig Überlappung. Nur das Wandern von einer Szene in eine andere fand statt. Aber wenn man mal was Erfolgreiches produziert hatte, wurde man von allen Seiten schief angeguckt. Also war kein Wechsel zur „alternativen“ Szene mehr möglich. Ich hatte außerdem nach meinem Einstieg in die Nina Hagen Band so viel um die Ohren, weil ich gleichzeitig noch mein Studium an der UdK zu Ende brachte, dass ich keine Luft zum Philosophieren mehr hatte. Also Lektion 1: immer weitermachen, was man für richtig hält. Lektion 2: wenn man das Gefühl hat, dass einem ein Verbündeter in den Rücken fällt, könnte das durchaus zutreffen. Also innehalten, sicherstellen, dass man nicht paranoid ist, und Konsequenzen ziehen. (Klarstellung: ich rede nicht über andere Musiker!)
3. Ihre Karriere umfasst Erfolge in so vielen unterschiedlichen Bereichen – von der Rockmusik mit Spliff über die Produktion von Nena bis hin zur Filmmusik. Wo sehen Sie selbst Ihre musikalische Heimat?
Meine musikalische Heimat ist in mir. Wenn ich selbst gut hinter dem stehen kann, das mir aus der Feder träufelt, dann hab ich alles richtig gemacht. Bei Filmmusik ist das natürlich nicht so einfach, da das Endprodukt ja von den Filmemacher*innen beeinflusst wird. Aber wenn ich mit den richtigen Menschen arbeite, klappt es trotzdem meistens. Ich muss halt dem Film dienen, nicht mir selbst. Dabei kann ich trotzdem noch Kunst machen.
4. Ihr Soloalbum setzt sich intensiv mit dem Thema Männlichkeit auseinander. Warum ist das gerade jetzt für Sie so wichtig?
Das Thema ist seit Anfang der 90er wichtig, als der Backlash gegen den Feminismus begann: Männer müssen wieder „richtige Männer“ sein, etc. Damals dachte ich bereits: Faschismus ick hör dir trapsen. Männlichkeit ist für mich etwas anderes als andere zu dominieren. Wenn mann natürlich durch und durch in seiner Mannhaftigkeit verunsichert ist, wird mann leicht Opfer der Rattenfänger. Das gilt natürlich auch für Frauen, die lieber als „Tradwives“ existieren, als selbstbewusst ihr Ding zu machen. Religionen aller Art sind an dieser Misere mit Schuld. Was wir stattdessen brauchen, ist das Leben und Arbeiten von Frauen und Männern auf Augenhöhe. Das haben nicht nur die Faschos, sondern auch die Konservativen nicht begriffen. Ich habe mit diesem Ansatz sehr viel Glück gehabt.
5. In den frühen 90ern hatten Sie bereits ein Soloalbum fertiggestellt, das nie veröffentlicht wurde. Wie würden Sie den Unterschied zwischen diesem Album und dem heutigen beschreiben?
Ich war bei meinem unveröffentlichten Album mehr auf perfekten Sound und spielerische Kabinettstückchen aus, obwohl es da auch ein paar Songs gibt, die textlich ähnlich gelagert sind. Wie gesagt: Ich beobachtete ja schon damals entsprechende Tendenzen. Damals gab es noch keine Plattformen, auf denen man als Künstler selbst das volle Risiko eingehen konnte. Labels wollen Künstler, die das komplette Programm anbieten: Studio, Live und immerwährende Medienarbeit. Schließlich investieren die Label ja in die Künstler. Das ist durchaus verständlich. Da jetzt eine andere Zeit angebrochen ist, habe ich vor, das komplett-Englischsprachige Album zunächst zum 30. Jahrestag seiner Fertigstellung zu veröffentlichen, also nächstes Jahr.
6. Als Filmkomponist haben Sie für einige der größten deutschen Kinoerfolge Musik geschrieben. Wie unterscheidet sich das Komponieren für Filme von der Arbeit an einem Soloalbum?
Wie oben schon beschrieben, ist es eigentlich das krasse Gegenteil. Beim Album diene ich nur meiner künstlerischen Neigung, beim Film bin ich Diener der Geschichte und der Vision der Filmemacher*innen. Da habe ich viel gelernt, z.B. irgendwann auch mal fertig zu werden.
7. Sie haben mit Musik die Popkultur maßgeblich mitgestaltet. Gibt es Trends oder Entwicklungen in der heutigen Musiklandschaft, die Sie begeistern oder vielleicht sogar beunruhigen?
Ich glaube, dass durch die weltweite Vernetzung und z.B. YouTube das musikalische Niveau extrem nach oben geschnellt ist. Das macht mich sehr glücklich. Traurig ist der Großdiebstahl jeglichen geistigen Eigentums durch die sogenannte KI, fast ohne die Möglichkeit, den Silicon Valley Fürsten das perfekt nachzuweisen. Glücklicherweise macht die GEMA da Vorstöße, denn manchmal klingt es denn doch zu ähnlich, als dass es Zufall sein könnte. Wenn KI uns in der Zukunft ohne die Ausbeutung armer Menschen produktiver macht, und sich das in bedingungslosem Grundeinkommen überall auf der Welt niederschlägt, höre ich vielleicht auf, zu meckern. Aber beim gegenwärtigen Turbokapitalismus mit Tendenz zum neuen Feudalismus sehe ich da eher schwarz. Ich empfehle in diesem Zusammenhang den Film „Elysium“ von Neill Blomkamp (2013). Wenn wir nichts ändern, sind wir stramm auf dem Weg dahin. Ich habe übrigens nie das Gefühl gehabt, links zu sein. Die Torpfosten sind aber so weit nach rechts gerückt, dass ich für Obiges sicher als Kommunist verschrien werde. Ist mir aber wumpe.
8. Sie leben heute in Florenz. Wie beeinflusst dieser Ortswechsel Ihre Musik und Kreativität?
Wenn Sie das Stück DICK auf meinem Album hören, kommen Sie wahrscheinlich nicht auf die Idee, dass es auf Hawaii getextet und produziert wurde. Vielleicht beantwortet das die Frage bereits umfassend. Ich werde in Florenz auch keine Renaissance Musik machen. Das habe ich bereits 1993 für Katharina Thalbach am Berliner Schillertheater getan.
9. Mit über 70 Jahren blicken Sie auf eine beeindruckende Karriere zurück. Gibt es noch musikalische Träume oder Projekte, die Sie verwirklichen möchten?
Mein Traum ist es, in meinem Studio noch alle im Werden begriffenen Projekte zu beenden und zu veröffentlichen. Jedes Stück ein Tropfen im Ozean der auf Streaming erhältlichen Werke, ob menschengemacht oder von der künstlichen Idiotie „geschaffen“.
10. Wenn Sie Ihrem jungen Ich aus den 70ern einen Ratschlag geben könnten – welcher wäre das?
Hör bloß nicht auf die anderen! Die liegen genauso schief wie Du, und manche davon sind eh nur neidisch.
Herr Heil, vielen Dank für dieses spannende Gespräch und Ihre inspirierenden Einblicke. Wir freuen uns auf Ihr neues Album und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg auf Ihrer musikalischen Reise! CK
Reinhold Heil
FREIHEIT GEILHEIT MÄNNLICHKEIT
Label: Künstlerhafen
VÖ: 30.05.2025
Genre: Elektropop, deutschsprachig
Bei iTunes kaufen
Bild © Michele Campagni