„Augendisko“ klingt wie ein wilder Rave im Kopf – oder im OP-Saal. Wie wurde aus einer Netzhaut-OP ein ganzes Album?
Die Netzhaut – OP war abgesehen von der medizinischen Notwendigkeit ein sinnlicher Rausch. Schon seltsam, was sich vor dem Auge abspielt und durchaus inspirierend. Am Anfang der Arbeit an dem Album stand die eher nüchterne Erkenntnis, dass alles vergänglich ist und durchaus fragil. Aber daraus resultiert auch eine Lebensfreude und das Verlangen, den Diem zu carpen und sich kopfüber ins Leben zu werfen. Das ist auch der positive Grundtenor des Albums, manchmal durch melancholische Zwischentöne gebrochen. Aber letztlich geht es darum, nach vorne zu schauen und Gas zu geben. Weil: „Jeder sehnt ich nach ein bisschen Glitzer in der Augendisko.“
Hand aufs Herz (oder lieber aufs Auge): Ist die Augenklappe mehr Bühnenstil oder medizinischer Ernstfall – oder beides mit Augenzwinkern?
Ich trage die Augenklappe täglich, wenn ich vor dem Rechner sitze oder lese. Ich sehe auf Leseentfernung Doppelbilder und somit verschwommen. Ich müsste also ein Auge zukneifen, um längere Text zu lesen. Die Augenklappe auf der Bühne zu tragen, war eine Art Trotzreaktion darauf. Wenn ich das Ding schon im Privatleben trage, dann werde ich auf der Bühne zum Weltraumpiraten! Lustig ist, dass ich seitdem deutlich lieber Rum trinke. Die Band witzelt schon, dass ich irgenwann mit einem Papagei auf der Schulter auftauche. Mal sehen, wo das noch alles hinführt. ☺
Ihr sagt, „Im Kopf von Lisa Eckhart“ ist keine Hommage, sondern eine Unterstellung. Was habt ihr euch denn da erlaubt – und was denkt ihr, würde Lisa dazu sagen?
Niemand weiß, was im Kopf anderer Menschen vor sich geht. Deshalb ist es auch eher eine Unterstellung als Hommage. Ich behaupte im Text Dinge, die ich einfach nicht weiß, sondern bloß annehme. Eigentlich erzählt der Song also mehr darüber, was in meinem Kopf vor sich geht, als im Kopf der besungenen Lisa Eckhart. Die Zeile „Was in deinem Kopf vor sich geht, wüsste ich gerne“, hab ich schon öfter gehört. Eines Abends lief ein kurzes Programm von Lisa Eckhart im Fernsehen und ich dachte mir: „Schön und gut, aber was bitte spielt sich in ihrem Kopf ab?“ Und daraus hat sich dann der Song geschält.
„Johnny gegen den Rest der Welt“ ist euer bisher längstes Stück – wie viele Serienfolgen stecken in diesem Song wirklich?
Es steckt sehr viel Johnny in dem Song und es steckt sehr viel Johnny in mir. Die Songs haben immer mit mir und meiner Sicht auf die Welt zu tun. Sonst könnte ich sie gar nicht schreiben. Aber ich mag es, wenn die Songs „abheben“ und ins Fantastische abgleiten. Das ist die poetische Freiheit die ich habe. Dadurch erhält mein Johnny eine gewisse Allgemeingültigkeit und kann zu jedermanns Johnny werden. Wenn ich im Song singe „Die Sicht wird schlechter“, dann dockt das an meinem wirklichen Leben an. Aber manches ist natürlich übertrieben und frei erfunden und folgt somit einem poetischen Bedürfnis. Sonst wäre es auch ein Tagebucheintrag und kein Song. Jeder weiß aber, dass das Leben nicht immer wie auf der Autobahn dahinläuft, sondern manchmal auch über rumpelige Straßen führt, man wird sich also im Song wiederfinden und mit Johnny mitfühlen.
Die „Augendisko“ ist euer bislang buntestes Album. Wie habt ihr den Spagat geschafft zwischen Chaos, Konzept und Kontrolle?
Nach den eher bedeckten Coronajahren war die Lust auf Aufbruch da. Die Zeiten sind ja nicht gerade einfacher geworden seitdem. Wir begegnen der Welt mit Gelassenheit und Lebensfreude, weil wir finden, dass das das Beste ist, was man machen kann. Das war der konzeptionelle Überbau des Albums und schwingt mit. Abgesehen davon lassen wir viel zu und haben Freude am Experiment. Wir nehmen das mit, was bisher immer gut funktioniert hat, wie zum Beispiel die Arbeit mit dem Orchester, haben aber große Lust viel Neues zu probieren, wie die Arbeit mit Samples, oder den vermehrten Einsatz von Harmonies, also mehrstimmige Gesänge. Die Kontrolle überlassen wir dann gerne unserem Studiomann, der Blick von außen ist immer wertvoll.
Was hat es mit dem Bistro d’Amour auf sich – und wie viele Ex-Freunde hat man da lyrisch abserviert?
Besungen werden 4 Exfreunde meiner Liebsten. Der Song erklärt ganz gut, was es mit der Johnnyfigur auf sich hat und dem Ausgangspunkt in meinem wirklichen Leben und dem Abheben ins Fantastische. Natürlich erzählt der Song gar nicht so viel über die Exfreunde, oder den Geschmack meiner Liebsten, das ist alles erfunden. Er erzählt vor allem etwas über Johnny und wie er die Welt und andere sieht. Und somit verrät es auch einiges über mich. Da ist auf der einen Seite ein behauptetes Selbstbewusstsein, auf der anderen Seite aber auch eine gewisse Unsicherheit, die mitschwingt. Witz, Leidenschaft und Liebe schwingen auch mit. Ich hoffe und glaube, dass sich da mein Real Life mit der Johnny-Figur deckt.
Orchester, Grooves, Voodoo und Progrock – wie habt ihr es geschafft, das alles in einem Album unterzubringen, ohne dass es euch um die Ohren fliegt?
Ach, wir sind da sehr entspannt. Wir machen die Dinge, auf die wir Lust haben. Damit sind wir immer gut gefahren. Ich glaube, man kommt in Teufels Küche, wenn man sich anbiedert, oder mit einer Erwartung des Publikums kokettiert. Das geht meistens daneben. Wir sind authentisch und vertrauen unseren eigenen Bullshit-Detektoren. Wenn man das konsequent macht, findet sich auch das Publikum, das den Weg mitgeht. Es ist ein sehr intuitiver Prozess, der auf jahrelanger Erfahrung fußt. Es hat also auch sein Gutes, wenn man schon eine Zeitlang dabei ist.
Euer Sound wird oft als „verrucht abstrakt“ beschrieben. Ist das Zufall, Programm oder einfach das Ergebnis eurer musikalischen Neurosen?
Ich hab den Song tatsächlich auf einer Kindergeburtstagsparty bei mir zu Hause geschrieben. Rings um mich ist die Hölle ausgebrochen, ich saß mit Gitarre und meinem Handy im Kinderzimmer und hab mich durch meine Aufzeichnungen gescrollt. Ich hatte das musikalische Gerüst und war auf der Suche nach einem Titel, nach einem Thema, um das es gehen könnte. Rund um mich also Kinder-Armageddon, ich schau aufs Display und wisch mich durch meine Textfragmente, als da plötzlich der Satz „Muss das so laut sein“ steht. Göttliche Fügung quasi. Der Song schrieb sich dann quasi allein. Ich hatte sofort das Bild vor Augen, dass mir jemand den Song erzählt, so wie das im Video umgesetzt war. Den Satz selbst hört man als Musiker oder Tontechnicker laufend. Das können die Kolleginnen und Kollegen sicher bestätigen.
Was erwartet uns bei der Live-Show am 18.10. – ein Konzert, ein Trip oder ein audiovisuelles Chaosfest in der Augendisko?
Wir spielen tatsächlich fast alle Songs des neuen Albums und eine Art Best of der ersten vier Alben. Wir überraschen uns ganz gerne selbst und nehmen auch Songs mit rein, die wir lange nicht gespielt haben. Vielleicht gibt es sogar ganz was Neues zu hören. Wir sind ziemlich gut eingespielt im Moment, das dürfte also eine gute und mitreissende Show werden. Wir freuen uns riesig auf das Konzert!
Ein herzliches Dankeschön an Love God Chaos für das offene, unterhaltsame und inspirierende Gespräch – und für den mutigen Blick in die musikalische Gedankenwelt zwischen Lichtblitzen, Voodoo-Zauber und orchestraler Ekstase. Wir freuen uns auf alles, was da noch kommt – und natürlich auf die „Augendisko“ live! 💛 CK