Der Traum von der unendlichen männlichen Potenz – in St. Leon-Rot lebt er an diesem Abend. Denn im Kultur- und Veranstaltungszentrum Harres lässt Jürgen von der Lippe bei seinem jüngsten Gastspiel nicht nur die Pointen springen, dass die deutschsprachige Konkurrenz ins Staunen geraten dürfte, er stellt auch noch selbst das Allheilmittel für den rüstigen Rentner vor: Vondelippin!
Und so enttäuscht der 74-Jährige auch sein mag, dass ihm die Pharma-Industrie bislang ein Angebot für seinen medikamentösen Jungbrunnen schmählich verweigert: Ein ausverkauftes Haus bekommt bei „Voll fett!“, von der Lippes jüngstem Programm, eine grandiose Kostprobe der Wirksamkeit zu spüren. Denn die Comedy-Legende, die kurz vor ihrem 50-jährigen Bühnenjubiläum steht, spricht nicht einfach nur über das Leben – er zelebriert seine Anekdoten. Fast schon zärtlich zeichnet er den Weg vom jungen amourösen Helden („Der verliebte Mann ist zerebral eingetrübt“) hin zum Best Ager, bei dem das „Kämpferbenzin“ Testosteron einer gewissen Altersmilde weicht. „Du Lauch“ möge da so mancher denken – und den Jugendwörtern der zurückliegenden Jahre nachsinnen, um bald schon festzustellen, dass der nachlassende Druck auf der Leitung nicht nur Frauen vom Goofy-Blick beim männlichen Orgasmus befreit, sondern der werte Herr auch das Urinal nicht mehr treffen braucht, wenn er mit Wilhelm Busch einfach „im Nu auf die Schuh“ pinkeln kann.
So weit, so herrlich – und vor allem: so leicht. Denn der Protagonist des Abends dröhnt nicht, er feixt nicht, er serviert seine Pointen – ob mit oder ohne Gitarre – so messerscharf und subtil, dass sie mit keinem weiteren Effekt nachgewürzt werden müssen. Denn ob die Scheidungsquote von Kaiserpinguinen seziert, oder eine neue Strophe beim Saunaclub Aufguß 09 probiert wird: Die Gags haben Feuer, fordern den Zuschauer stets selbst mit zum Denken auf – und verlieren dennoch zu keinem Zeitpunkt eine Essenz an selbstverständlichem Scherz. Das ist ohne Zweifel große Klasse. Denn so spricht nur einer, der sich selbst aus der Wohnung aussperrt, um von seinem „Schlüsselerlebnis“ zu berichten, oder sich über die Gender-Debatte lustig macht, indem ein „kackender Backender“ von der Lippes Phrasen hinabstolziert.
Am Ende ist es fast schon egal, welche Episode Jürgen von der Lippe genau erzählt, es ist allein das Wie, mit dem er sich die Herzen seines Publikums verdient – und damit eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass Potenz längst nicht nur unter der Gürtellinie zu suchen ist, sondern auch und gerade dann gilt, wenn die Stimmung in der Halle einen Überschwang erreicht, von dem Goofy nur träumen kann. Restlos großartig!
Text © Markus Mertens