Donnerstag 4. Juli 2024

Desolat – ückendorfication

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Zwischen Alltag und Ausnahmezustand: „ückendorfication“, das Debütalbum der Gelsenkirchener Deutschgrungerocker, welches laut Malte Harzem (Radio Essen) “allein für den Namen schon sämtliche Musikpreise verdient”, erscheint am 28. Juni 2024 via Dackelton Records. DESOLAT hat sich seit ihrer Gründung 2017 mit Singles wie „Illusionen“ und „Neostalgie“ einen festen Platz im Indie-Underground erobert. Ihr Sound ist eine explosive Mischung aus Garage, Grunge und Punk, der das Lebensgefühl der Generation X einfängt und frisch und unverfälscht in die Ära der Gen Z überträgt.

„In unserer Musik verarbeiten wir das alltägliche, fast banale Leben in einer von toxischer Subjektivität und endloser Selbstoptimierung geprägten Informationsgesellschaft – voller Zweifel, Widersprüche und Illusionen“ so Sänger Markus. 

Desolat
ückendorfication

Label: Dackelton Records
VÖ: 28.06.2024
Genre: GRUNGE
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So liegt es nahe, dass der erste Track des Albums „verpass‘ nicht den anschluss I“ mit einem penetranten Weckerpiepen startet und den Zuhörer direkt zu Beginn dieses schon fast hardcore-punk-lastigen Songs wachrüttelt. Das Lied fängt den Alltagsstress und die Monotonie des Pendlerlebens ein, mit einem lyrischen Fokus auf den zermürbenden Neun-bis-Fünf-Rhythmus. Mit pulsierenden Gitarren und treibendem Schlagzeug malt der Song ein Bild des täglichen Kampfes gegen die Uhr und die Routine. Mit mitreißender Energie eröffnet „verpass’ nicht den anschluss I“ das Album und setzt sogleich den Ton für die folgenden Tracks. Die Band webt ein dichtes Netz aus scharfen Gitarrenlinien und schlagkräftigen Drums, das die Monotonie des Pendlerdaseins in packende Soundlandschaften übersetzt. Ein perfekter Startschuss, der sofort unter die Haut geht. „Jeder kennt diese Sprüche seiner Eltern, wie „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ die einen in dieser gesellschaftlich-konventionellen Tretmühle halten sollen“ so Markus weiter. 

Nachdem der Zuhörer es dann endlich zur „verfickten bahn“ geschafft hat, schließen sich die Türen und das Intro zum Titeltrack des Debütalbums (VÖ: 08.03.2024) „ückendorfication“ beginnt und nimmt uns mit auf eine Reise mit der 302 zur Haltestelle Ückendorfer Platz. Schon fast cineastisch ertönt das bunte Leben des Stadtteils, als sich der Vorhang, ähm, Straßenbahntüren wieder öffnen und das an Nirvana anmutende Grungegitarren-Riff beginnt. „ückendorfication“ ist eine wahre Grunge-Hymne auf die Transformation und die multikulturelle und ambivalente Realität des unterschätzten Stadtteils Ückendorf. Mit „sie nennen dich den dreck und zwar jeden tag“ konfrontieren die rauen und emotionalen Vocals den Zuhörer mit der Lebenswirklichkeit der Stadt mit der schlechtesten Lebensqualität Deutschlands. „statt bier serviert man dir nur aperol spritz“ steht aber auch sinnbildlich für einen sich anbahnenden Wandel. 

„Jeder kennt diesen Spruch, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Auf dem Cover von „ückendorfication“ ist das Glas einfach ganz leer, was vielleicht sinnbildlich für Gelsenkirchen ganz gut passt. Aber dafür hat das Glas auch noch Platz für Träume und Ideen“ so Wahlgelsenkirchener Markus. Schlagzeuger Mogli ergänzt: „Dazu braucht man Leute, die Bock haben was zu verändern, und die lernt man bspw. am Skatepark kennen – so wie Markus. Die Songs des Albums sind bis auf wenige Ausnahmen alle in meiner Garage gleich in der Nähe vom Ückendorfer Platz entstanden“. 

Markus hatte bis 2017 das Soloprojekt FUZZ COLA, das zur Findung des Sounds – eine deutschsprachige Hommage an die musikalische DIY-Ästhetik von Interpreten wie Cloud Nothings, DIIV, TNSW oder Wavves; irgendwo zwischen Garage, Grunge und Punk -. essenziell war. Als Mogli und Sven zu dem Projekt stießen, war DESOLAT geboren. Nach der Veröffentlichung einiger Singles, nahmen sie gemeinsam mit Mika und Lilly zwischen Dezember 2022 und Juli 2023 das Debütalbum „ückendorficaiton“ auf und holten die beiden nach erfolgreicher Zusammenarbeit fest in die Band. „Alles was so ein bisschen in diese deutschsprachige Post-Punk Richtung geht wird von Außen aktuell unter dem Begriff Neue Neue Deutsche Welle zusammengefasst. Wir würden unsere Musik niemals unter diesem Genrebegriff fassen, aber irgendwie passt es doch ganz gut dazu, was wir machen“ so Gitarrist Mika. DESOLAT zieht Einflüsse aus einer breiten Palette von Musikgenres. Die Bandmitglieder sind Fans von Künstlern wie NIRVANA und lokalen Ruhrpott-Legenden wie KREATOR und SODOM, aber auch von neueren internationalen Acts aus Garage-Punk wie CLOUD NOTHINGS und WAVVES, aber auch Emo-Trap wie YAWNS. „Das macht die Platte sehr vielschichtig, aber vielleicht auch irgendwie schwerer fassbar. Was gut ist, weil sonst wäre es langweilig“ so Bassist Sven. Musikalisch Gleichgesinnte finden DESOLAT vor allem in Wien, was sich auch durch hochkarätige Supportslots, die DESOLAT für u.a. Leftovers und Anda Morts spielen durfte, zeigt. „Für den deutschsprachigen Indie und Punk waren Hamburg und Berlin lange maßgebend. Diese Paläste reißen wir nun nieder und begründen die neue Ära in einer Schneise der Verwüstung zwischen Gelsenkirchen, Linz und Wien. In Erinnerung an die alten Tage haben wir „ückendorfication“ trotzdem von Helge Hasselberg von der Hamburger Band Trümmer mixen und mastern lassen und er hat auch einen richtig geilen Job gemacht“ erzählt Markus grinsend.

Es schließt sich die am 14. Juni veröffentlichte Single „du schaust mich an ich schau’ hinein“ an. Der introspektive Song reflektiert Nähe zu Fremden, die flüchtige Natur schicksalshaftiger Begegnungen und die Unsicherheit in unserem Umgang damit. Die erst sanften Melodien, die sich schließlich in leidenschaftliche Ausbrüche verwandeln, spiegeln die emotionale Achterbahn zwischenmenschlicher Beziehungen wider. „Für mich definitiv einer der Favourites auf dem Album, da wir hier den Vibe von Wavves gut getroffen haben, eine Band, die lange maßgeblich für die musikalische Orientierung von Desolat war“ so Schlagzeuger Mogli.

Herausgerissen aus dieser Verträumtheit wird der Zuhörer durch das kratzige Geräusch von Hartplastikrollen auf rauem Asphalt. Da die Skatekultur für Desolat sehr wichtig und prägend war und nachwievor ist, findet sie immer wieder Erwähnung auf „ückendorfication“. „nie genug ist definitiv unser Sommerhit“ sagt Mika, „definitiv“ wiederholt Lilly energisch. Ein energiegeladener Track über die Unbeschwertheit und Freiheit eines Sommers des absoluten Kontrollverlusts durch weiche Drogen, freie Liebe, Game of Skate und Mac DeMarcos Salad Days am Alma-Skatepark, der nie hätte enden sollen – alle sagen das. Mit einer Mischung aus US-punkigen Gitarrenriffs und dynamischem Gesang ist der Song eine Hymne auf das Über-die-Grenzen-schlagen, egal ob die Konsequenz das Wählen des Notrufs ist. „nie genug“ ist als dritte Single am 10. Mai veröffentlicht worden und darf 2024 in keiner Festival-Campgroundplaylist fehlen!

„autos autos autos“ setzt mit dem lauten Hupen eines mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesenen Rasers ein, der seine silberne Mercedes C-Klasse gerade noch rechtzeitig bremsen konnte, bevor sie den Skater rücksichtslos totgefahren hätte. DESOLAT nehmen hier einen Perspektivwechsel vor und schlüpfen in die Rolle „einer dieser Idioten, die ständig mit viel zu hohem Tempo über die Ückendorfer Straße knallen“ so Markus. „Der Song ist natürlich ein Antiautofahrer-Song und war bei dem hohen Verkehrsaufkommen in so einem kleinen Stadtteil ein no-brainer“. Lilly wirft ein „Auto laut, Pimmel klein“. „Isso“ bestätigen die anderen. „autos autos autos“ hinterfragt mit Blick auf die Autokultur deren Obsession mit Geschwindigkeit und Konsum als Statussymbol und stellt dies analog durch rasende Gitarren und rhythmische Bass- und Schlagzeuggewitter dar. Mit Zeilen wie „was persönliche freiheit ist? wenn ich laut durch die straßen ras’ und leute mir nachsehen in hass“ gelingt DESOLAT eine ironisch-scharfe Persiflage auf die Lebensrealität von „fixern am benzinzapfhahn“, die wohl auf ewig Bestandteil unserer Gesellschaft bleiben werden. 

Direkt danach schließt sich die am 05. April 2024 zweite veröffentlichte Single „angry“ an, die zu den härteren Songs des Albums gehört und die Sozialisation der Band durch lokale „teutonic thrash metal“ Bands wie SODOM erlebbar macht. Der Song ist eine dunkle und intensive Auseinandersetzung mit Gefühlen der sozialen Isolation und Frustration, und erinnert mit den schnellen, harten und doomigen Riffs schon fast an King Gizzards „Infest the Rats‘ Nest“. Mit tiefen Basslinien und schroffen Vocals in „angry“ veräußern DESOLAT einsame Gedanken mit der krachenden Intensität, die diese sonst nur in unseren Köpfen einnehmen. Die Zeilen „jeden tag, jeden tag, jeden tag, die gleiche scheiße, immer wieder weiter“ bietet sich fast schon wie ein Mantra dar, das im Anschluss noch lange im Gehör bleibt und einen Track generiert, der das Potential hat, emotionale Ventile frei zu rütteln. 

Explosiv ist auch der nächste Track, „süße agression“, der das Phänomen der cuteness-agression im Spiegelbild aktueller Debatten um sexuelle Befreiung und persönliche Individualität darlegt. „Für die Lyrics haben wir uns von Szenen aus „Bones and all“ oder „Wild at heart“ inspirieren lassen“ so Mogli. „Die Szene, wo Sailor und Lula mitten in der Wüste halten, um ihre Energie tanzend zu Powermad’s Song „Slaughterhouse“ freizulassen ist einfach ikonisch. Wer sie kennt, wird sie im Song wiederentdecken. Die Zeile „Liebe ist pervers und krank“ legt aber auch nahe, dass es darüber hinaus auch um zwischenmenschliche Beziehungen geht, die in ihrer Natur nie logisch, sondern vor allem animalisch und unkontrollierbar sind. Der Song entwickelt seine Intensität aber vor allem erst durch den Gesang, den sich Lilly und Markus teilen. „Unsere beiden Stimmen harmonieren fantastisch zusammen. Das Potential wollen wir bei den kommenden Tracks weiter nutzen“ so Markus. 

Der vorletzte Track von „ückendorfication“ heißt „in a van“ und ist ein bisschen das Easteregg des Debütalbums. Zum einen ist es der einzige Song der Band in englischer Sprache, zum anderen berichtet er tagebuchartig von den vielen einmaligen Erlebnissen, die DESOLAT auf ihren zwei erfolgreichen Japan-Touren gesammelt haben, und hat damit eher weniger mit Gelsenkirchen zu tun. Der Sound erinnert in den Strophen an die besten Zeiten von Dinosaur Jr. und löst im C-Part nostalgische Gefühle an die Bloodhound Gang aus. „Das Besondere ist, dass der Track gespickt ist mit Gastauftritten von Menschen, die wir in Japan kennenlernen durften. Allein das Intro ist eine Hommage an die Satiresendung „The Japanese Tradition“, die die kulturellen Gepflogenheiten Japans aufs Korn nimmt, erklärt Mogli. „Ja, und die Zeile „five hours police, a sliver of weed” erinnert uns jedes Mal daran, wie du in Tokyo fast eingebuchtet wurdest“ wirft Sven ein. „In a van“ ist eine Ode an die Freiheiten des Tourlebens und die besonderen Momente, die so nur „on the road“ passieren. Der Song ist ein weiteres leuchtendes Beispiel für die Fähigkeit der Band, persönliche Erlebnisse in universell nachvollziehbare Punk-Hymnen zu verwandeln.

Als Fortsetzung des Eröffnungstracks, taucht „verpass‘ nicht den Anschluss II“ tiefer in die soziale Entfremdung und die absurden Seiten des modernen Lebens ein und stellt mühelos unter Beweis, wie sich sarkastische Texte mit eingängigen Melodien kombinieren lassen, und wie man gleichzeitig nachdenklich gestimmt als auch unterhalten werden kann. Zeilen wie „hey mama, ich drück’ auf snooze, bleib’ liegen, sag allen einen schönen gruß“ sind witzig, lebensnah und musikalisch raffiniert zugleich, so dass sich die Band mit dieser Ballade von ihrer kreativsten Seite zeigt, soundtechnisch irgendwo zwischen „where is my mind“ und „something in the way“.

Den Satz „ich muss nur noch kurz klar kommen“ als Argument dafür, längst überfällige Ziele weiter aufzuschieben, haben DESOLAT so oft gehört, dass sie einen Song darüber schreiben mussten. Dieser ist einem guten Freund der Band gewidmet, der trotz der individuellen Story einer Sehnsucht nach Veränderung Identifikationspotential für die Zerrissenheit einer ganzen Generation liefert, die lethargisch zwischen idealisierter Vergangenheit und ungewisser Zukunft schwebt. Der Track symbolisiert die eindringliche Betrachtung des Kampfes gegen innere Dämonen und die Anstrengungen, die es kostet, sich täglich zu den kleinsten Dingen zu motivieren. Da ist es doch viel einladender sich sein Deck zu schnappen und einfach vor allen Sorgen „davonzupushen“. „Ich kenne viele Skater, für die das Rollen Therapie ist und deshalb immer von einem Lebensgefühl und niemals von einem Sport sprechen“ so Markus. Mit einer Mischung aus monotonen, düsteren Melodien und plötzlichen musikalischen Aufbrüchen wie einem Autotune Solo spiegelt der Song das emotionale Auf und Ab des Lebens wider. „davonpushen“ schließt das Album mit einem emotionalen Höhepunkt ab und lässt auf weitere kreative Mutproben hoffen. „Ich habe die Anderen damals dazu ermutigt, Autotune bei dem Track zu benutzen.“ berichtet Lilly „und das war die richtige Entscheidung!“ stimmt Markus zu.

Insgesamt ist „ückendorfication“ von DESOLAT ein phänomenales Debüt, das nicht nur durch seine musikalische Qualität überzeugt, sondern auch durch seine tiefgreifenden, authentischen Texte. Ein must-have für jeden Fan von ehrlicher, leidenschaftlicher Rockmusik mit einer starken Botschaft und einem Hang für Überraschungen. “ückendorfication” ist somit mehr als nur eine Sammlung von Songs; es ist der erste Tropfen einer musikalischen Welle, die DESOLAT surfen wird. 

Desolat ückendorfication

Wir verlosen: 2 CDs Desolat – ückendorfication
VÖ: 28.06.2024
Label: Dackelton Records 
Teilnahmeschluss ist der 30.07.2024
Einfach eine E-Mail mit Adresse an: gewinnspiel@cityguide-rhein-neckar.de
Stichwort: Desolat – ückendorfication

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