Freitag 26. April 2024

Ein Gespräch mit Dr. Klaus-Dieter Kieslinger über sein neues Buch „Imagine“

Genre: Interview

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Was hat Sie dazu veranlasst, sich mit den inneren Bildern und der Wissenschaft dahinter zu beschäftigen?

Dr. Kieslinger: Ich bin eher durch Zufall auf das Thema gestoßen. Begonnen hat die Geschichte – wie könnte es auch anders sein – mit einer Krise: Nach einer Sportverletzung lag ich im Krankenhaus und konnte wochenlang nur auf Krücken gehen. Während dieser Tage hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Da fragte ich mich, was würde ich gerne in der nächsten Zeit mit meinem Leben anfangen?
Durch meine lange Faszination für die tiefe Menschenkenntnis, der ich in den Büchern des Theologen und Psychotherapeuten Uwe Böschemeyer begegnet war, kam ich auf die Idee, ihn kennenlernen zu wollen. Erfreulicherweise hatte er sich einige Jahre zuvor in Salzburg niedergelassen. Also rief ich ihn an und so kam es zu einem ersten Treffen. Am Schluss unseres Gesprächs eröffnete er mir, seine Methode sei die Imagination, und er stellte mir die Frage, ob ich bereit wäre, mich darauf einzulassen. Als eher nüchterner und von der medizinischen Wissenschaft geprägter Arzt war ich zunächst skeptisch. Trotz anfänglicher Bedenken erklärte ich mich dann für dieses Experiment bereit!

Innere Bilder begleiten uns ja von frühester Kindheit an in Form von Tagträumen und natürlich auch in nächtlichen Träumen. Wir alle machen die Erfahrung, dass wir uns ständig Begegnun- gen, Situationen und Gegenstände vorstellen, aber in welchem Ausmaß sich diese Fähigkeit gezielt entwickeln und einsetzen lässt, das hat mich dann doch überrascht.

Sind innere Bilder denn ein neuer Trend?

Dr. Kieslinger: Die Beschäftigung mit inneren Bildern passt genau zum Trend der vertieften

Beschäftigung mit unserem Selbst. Sie stellt allerdings nur scheinbar eine Entwicklung in der Moderne dar. Von inneren Bilderwelten berichteten bereits Schamanen alter Zeiten, Mystiker des Mittelalters und Gläubige aller Religionen – und das bereits seit Jahrtausenden! Heute wird diese Fähigkeit genützt von Künstlern, Psychologen, Wissenschaftlern, Leistungssportlern aber auch von der Esoterik mit dem Ziel der „Manifestation“.

Im Leistungssport werden heutzutage regelmäßig innere Bilder als Teil des mentalen Trainings eingesetzt. Ein Pionier dabei war der brasilianische Fußballer Pelé. Er kam vor jedem Spiel extra eine Stunde früher ins Stadion, machte es sich in seiner Garderobe bequem und versetzte sich in einen entspannten Zustand. Dabei sah er sich mit seinem inneren Auge selbst beim Fuß- ballspielen zu: Er vergegenwärtigte sich seine schönsten Pässe und Torschüsse, dann imagi- nierte er, wie er im bevorstehenden Match spielen würde. Damit bereitete er sich regelmäßig auf seine Spiele vor. Durch seine geübte Intuition soll er sogar in der Lage gewesen sein vor- herzusehen, wohin sich sein Gegner am Spielfeld als nächstes bewegen würde und wohin der Ball gleich fliegen würde. Ein anderes Beispiel – ich bin ja Österreicher: Eine legendäre Schi- fahrerin berichtete mir, wie sie sich während der Minuten vor ihren Rennen immer im Detail vorstellte, wie sie die Rennstrecke bewältigen würde. Es hat offensichtlich funktioniert: Sie gewann olympisches Gold und erlangte Weltruhm. Aber nicht nur Sportler, auch Künstler wie Salvador Dali und Wissenschaftler wie Albert Einstein benützten immer wieder innere Bilder zur Steigerung ihrer Kreativität. Auch die Psychotherapie setzt heute die Imagination systema- tisch ein. Und sogar Elite-Soldaten wie die Navy Seals verwenden ihre Vorstellungskraft, um sich auf ihre lebensgefährlichen Einsätze vorzubereiten. Von all diesen Möglichkeiten erzähle ich in Imagine.

Was ist der Unterschied zwischen inneren Bildern und Träumen?

Dr. Kieslinger: Aus Sicht der Neurobiologie sind die inneren Bilder in Imaginationen und Träumen eng miteinander verwandt: Dabei kommen im Gehirn nämlich zu großen Teilen die- selben Zentren zum Einsatz, welche auch bei der Wahrnehmung der realen Welt aktiviert wer- den. Wenn wir etwas sehen, dann ist immer der visuelle Kortex aktiv, der starke Verbindungen zum limbischen System aufweist, welches unsere Emotionen verarbeitet. Imagination umfasst aber noch weit mehr: Wir können uns Bewegungen vorstellen, wie das Spielen eines Musikin- struments, wir können uns Gefühle vorstellen und in gewissem Ausmaß sogar Gerüche. Der

Unterschied zwischen Imagination zum Träumen besteht darin, dass Imagination im Wachzu- stand und willkürlich geschieht.

Die Fähigkeit zur Imagination umfasst also alle Sinnesmodalitäten. Ein schönes Beispiel dafür ist Beethoven: Er ist zwar im Laufe seines Lebens langsam ertaubt und komponierte dennoch mit Hilfe seiner immensen musikalischen Vorstellungskraft einige der schönsten Stücke der Musikgeschichte. Das heißt, Beethoven verfügte über eine dermaßen entwickelte musikalische Vorstellungskraft, dass er nur damit überwältigende Musik komponieren konnte.

Warum können innere Bilder eine so große Macht entfalten? Wie funktioniert das?

Dr. Kieslinger: Innere Bilder aktivieren unsere Intuition, also unsere intuitive Intelligenz, die weit mehr umfasst als unsere Logik allein. Wir Menschen nutzen ja bekanntlich zwei Arten des Denkens: einerseits das für uns Menschen unerlässliche rationale Denken und andererseits das intuitive, bildhafte Denken. Beim bildhaften Denken werden parallel sehr große Areale im Ge- hirn eingesetzt, wodurch – in der Sprache der Datenverarbeitung ausgedrückt – eine enorme Rechenkapazität zum Einsatz kommt. Unsere herkömmliche Logik läuft dagegen hintereinan- der ab, Schritt für Schritt. Die Intuition aktiviert parallel riesige Netzwerke in unserem Hirn. Und um das geht es. Wir können mit Imagination Bereiche des Gehirns nutzbar machen, die uns auf rein rationalem Weg nicht so leicht zugänglich sind. Insbesondere auch jene Zentren, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind. Überdies können wir unsere Vorstel- lungen manipulieren: Wenn wir bewusst Vorstellungen verändern, dann entwickeln wir damit gezielt unsere neuronalen Netzwerke im Gehirn. Das ist das Spannende!

Wir können heute mit relativ großer Sicherheit sagen, was dabei in unseren Nervennetzen ge- schieht. Und wir können diese Prozesse im Gehirn gezielt beeinflussen.

Wir reden darüber, dass innere Bilder uns nutzen können, um Ziele zu erreichen. Wenn man aber auch an die vielen psychischen Probleme denkt: können sich negative Bilder so verfesti- gen, dass sie sich schädlich auswirken?

Dr. Kieslinger: Selbstverständlich. Und in Wahrheit geschieht das auch oft: Jedes Mal, wenn wir uns wiederholt Situationen vorstellen, wo alles schiefläuft, trainieren wir diese negativen Bilder. Es ist sehr wichtig, dass wir uns das bewusst machen, dass wir Verantwortung für unsere Vorstellungen übernehmen und uns darin üben, diese ein Stück weit zu steuern. Denn solche negativen Gedankenkreisläufe, die sich immer wiederholen und aus denen wir nicht mehr her- ausfinden führen im Extremfall bis zur Depression, sie können aber auch Symptom einer bereits vorhandenen Depression sein. Ich kenne das von Menschen, die in solchen negativen Vorstel- lungs-Spiralen hängenbleiben und ohne Hilfe durch einen Therapeuten nicht mehr aus diesen herausfinden.

In weniger extremer Form passiert das uns allen: Wir können uns immer wieder dabei ertappen, wenn wir uns etwas Schlimmes ausmalen. Das ist zum Teil gut und notwendig, denn eine ne- gative Vorstellung kann uns warnen und damit vor einer drohenden Gefahr schützen, sie kann uns aber auch motivieren. Wir sollten nur nicht in solchen negativen Schleifen hängenbleiben. Es existieren heute bewährte Methoden, wie man dies bewältigen kann.

Sie haben schon anklingen lassen, dass innere Bilder neuronale Veränderungen hervorrufen. Sind das die einzigen Veränderungen oder verändert die Arbeit mit inneren Bildern auch den Körper?

Dr. Kieslinger: Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass ein Gedanke – auch wenn uns das im Alltag anders erscheint – immer zugleich ein körperliches Ereignis ist. Das heißt, jeder Ge- danke ist zugleich ein bestimmtes Muster von Aktivitäten im Nervensystem. Denken ist eine Funktion des Gehirns. Jeder Gedanke verändert die Aktivität meines Gehirns.

Eine Vorstellung kann ich vergleichsweise einfach ändern. Wenn wir aber dauerhafte Verän- derung erzielen wollen, dann ist es natürlich wichtig, dass wir dranbleiben, damit wir es schaf- fen, unser Gehirn sozusagen „umzuprogrammieren“. Eine einzelne intensive Erfahrung kann unseren Lebensweg ändern. Wenn ich immer wieder gezielt imaginiere, dann kann das weitrei- chende Effekte mit sich bringen.

Es geht darum, bewusst neue Gewohnheiten zu schaffen – gesünderes Essen, mehr Bewegung, mehr Schlaf, regelmäßiges Schreiben, regelmäßigen Kontakt pflegen zu Menschen, die mir guttun. Das sind natürlich längerfristige Prozesse, die viele kleine, konkrete Schritte erfordern.

Imagination ist ein Trendthema, man denke nur an Manifestation oder Vision Boards. Wird das Thema in der Öffentlichkeit richtig verstanden? Ist jede Arbeit mit den eigenen Visionen per se schon richtig und dann auch gewinnbringend?

Dr. Kieslinger: Richtig ist, was mir guttut und was mir weiterhilft. Es geht darum, dass wir alle im Leben etwas erreichen wollen, dass wir glücklich sein wollen, dass wir uns entfalten möchten, dass wir Ziele haben, die verwirklicht werden wollen. Und dafür ist die Vorstellungs- kraft extrem hilfreich. Aber es ist nicht so: Ich stelle mir etwas vor -Hokuspokus – und dann manifestiert es sich. Das wäre zu einfach gedacht, wird uns aber doch in vielen Büchern so vermittelt. Nur – so geht es nicht. Ich muss mir natürlich vorstellen was ich erreichen möchte, die Vorstellung muss stark genug sein und sie sollte wiederholt passieren. Vor allem aber muss ich ins Handeln kommen. Ich kann mir zehn Jahre lang vorstellen, dass ich gerne Arzt werden würde. Aber dann muss ich auch die Aufnahmeprüfung an der Uni schaffen, die Examina be- wältigen, Erfahrungen mit Kranken sammeln, die Ausbildung an einer Klinik absolvieren. Der Schritt von der bloßen Vorstellung zur Aktion ist notwendig.

Grundsätzlich sind daher Begriffe wie Manifestation oder die Arbeit mit Vision Boards gut und richtig. Doch es herrscht oft eine zu einfache Idee davon vor, wie ich mit Hilfe meiner Vorstel- lungskraft vorgehen kann, um reale Veränderungen hervorzurufen.

Klingt in der Tat etwas komplizierter. Wenn man es sich jetzt leicht machen möchte, gibt es auch Bilder, die uns angeboren sind, die wir einfach nur abrufen müssen oder die wir einfach immer schon mit uns tragen, ohne dass wir bewusst daran arbeiten?

Dr. Kieslinger: Es gibt tatsächlich Bilder, die wir als Menschheit in uns tragen. Ob diese an- geboren sind? Wie wir aus Biologie und Philosophie lernen können, sind vermutlich gewisse Kategorien unseres Denkens angeboren. Der Philosoph Immanuel Kant stellte bereits fest, dass

Raum, Zeit und einige andere Kategorien a priori vorhanden seien, dass diese zu unserer seeli- schen Grundausstattung zählen. Wir tragen diese wohl schon von Anfang an mit uns, weil sich unsere Nervensysteme im Laufe der Evolution an diese Welt angepasst haben. Unsere inneren Bilder entstehen insgesamt aber aus der Auseinandersetzung zwischen unseren sich entwickeln- den Gehirnen und der Welt. Zwischen uns und der Umwelt, insbesondere auch den Menschen, die uns wichtig sind.

Ihre spannenden Antworten machen neugierig auf das Buch. Ihr Buch in drei Worten.

Dr. Kieslinger: Ich würde sagen: „Stell dir vor“.

Wer sollte Ihr Buch lesen?

Dr. Kieslinger: Prinzipiell ist das Buch gedacht für alle, die innere Bilder kennen und für sich selbst besser nutzen möchten. Jeder Mensch, der in der Lage ist, sich etwas vorzustellen, kann sich darin üben, noch bewusster mit diesen Vorstellungen zu arbeiten. Also jeder Mensch, der im Leben Ziele hat, die er verwirklichen möchte, jeder der sich interessiert für die Welt in sei- nem Unbewussten, jeder der sein Unbewusstes näher kennenlernen möchte. Jeder, der sich mit seinen Schatten auseinandersetzen möchte.

Und natürlich alle, die sich für Psychologie, Philosophie und das menschliche Nervensystem interessieren.

Dr. Klaus-Dieter Kieslinger
Imagine

Verlag: Fischer & Gann
Veröffentlichung: 17.03.2023
ISBN: 978-3-95883-556-6
Genre: Lebenshilfe
Preis: 22,00 €
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Über Dr. Klaus-Dieter Kieslinger:

Dr. Klaus-Dieter Kieslinger ist Facharzt für Neurologie in Salzburg (Zusatzausbildung in Psy- chosomatik und Verhaltenstherapie). In seinen Büchern geht er aktuellen Themen aus Neuro- logie und Hirnforschung auf den Grund. Als Experte ist er nicht nur in Printmedien stark nach- gefragt, sondern auch regelmäßig zu Gast im Radio und Fernsehen.

kieslinger-neurologie.at

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